Anmerkung zu BAG v. 14.08.2002 - Zurückweisung wegen fehlender Vorlage einer Vollmachtsurkunde
Anmerkung zu BAG v. 14.08.2002 - Zurückweisung wegen fehlender Vorlage einer Vollmachtsurkunde

Anmerkung zu BAG v. 14.08.2002 - Zurückweisung wegen fehlender Vorlage einer Vollmachtsurkunde

Beitrag, Deutsch, Eine Seite

Autor: Dr. Bernhard Ulrici

Erscheinungsdatum: 2003

Seitenangabe: 52-53


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I. Das Problem
Erneut hatte sich das BAG mit der Frage zu befassen, welche Vorschriften auf Erklärungen anwendbar sind, mit denen Ansprüche zur Wahrung einer Ausschlussfrist geltend gemacht werden (Geltendmachung). Die Geltendmachung ist keine Willenserklärung, sondern geschäftsähnliche Handlung, weil die durch sie herbeigeführte Rechtsfolge (Anspruchserhaltung) nicht von einem darauf gerichteten Willen des Erklärenden bestimmt wird (BAG, NJW 2001, 989, 990). Die Vorschriften über Willenserklärungen können auf die Geltendmachung somit nur analog angewendet werden. Voraussetzung dafür ist, dass dies mit der Eigenart der geschäftsähnlichen Handlung und der bestehenden Interessenlage vereinbar ist (MüKoBGB3-Gitter, Vor. § 104 Rdnr. 71; Larenz/Wolf, BGB-AT8, § 22 Rdnr. 28). Anders gesagt ist entscheidend, ob die zwischen Willenserklärung und geschäftsähnlicher Handlung bestehenden Unterschiede einer analogen Anwendung entgegenstehen (Beckmann/Glose, BB 1989, 857, 858). Für die Vorschrift des § 126 BGB hat das BAG (NJW 2001, 989) die Anwendbarkeit verneint. Nunmehr war über § 174 BGB zu befinden.
 
II. Die Entscheidung des BAG
1. Das BAG lehnt in seinem Urteil vom 14.08.2002 eine analoge Anwendung von § 174 BGB ab, weil der Arbeitgeber kein schutzwürdiges Interesse an sofortiger Klarheit über den Verfall der Ansprüche habe. Der Geltendmachung komme im Unterschied zu Kündigungen keine rechtsgestaltende Wirkung zu. Unausgesprochen meint das BAG wohl, dass die Konsequenzen einer analogen Anwendung von § 174 BGB für den Gläubiger zu einschneidend sind.
2. Dem Urteil des BAG ist nicht zuzustimmen.
a) Zunächst überzeugt es nicht, wenn das BAG der Geltendmachung die rechtsgestaltende Wirkung abspricht. Rechtsgestaltung bedeutet nicht notwendig Rechtsbegründung oder –vernichtung, sondern ebenso Rechtserhaltung. Auf die rechtserhaltende Wirkung der Geltendmachung stellt zutreffend auch der BGH in seinem Urteil zum Parallelproblem bei § 651g BGB a. F. ab (BGH, NJW 2001, 289).
b) Unabhängig davon setzt § 174 BGB auch keine derart eng verstandene Rechtsgestaltung voraus. Vielmehr gilt: Durch Stellvertretung kann der Vertretene seine rechtlichen Handlungsmöglichkeiten erweitern. Daraus dürfen dem Adressaten des Vertreterhandelns keine zusätzlichen Nachteile entstehen. Der Empfänger soll nicht mit der Unsicherheit belastet werden, ob das Vertreterhandeln wirksam ist, soweit diese Unsicherheit auf der Einschaltung eines Vertreters beruht. Bei Verträgen kann der Erklärungsempfänger diese Unsicherheit dadurch vermeiden, dass er nicht mit einem Vertreter abschliesst. Diese Freiheit besteht bei einseitigen Erklärungen nicht, weil man sich diesen nicht entziehen kann. Deshalb eröffnet § 174 BGB dem Empfänger die Möglichkeit, eine Originalvollmacht zu verlangen, um die Unsicherheiten bezüglich der Vertretungsmacht zu verringern, vgl. § 172 BGB. Allein entscheidend ist danach, dass eine einseitige Erklärung Rechtsfolgen zeitigt – dazu gehört auch die Rechtserhaltung. Diese hinter § 174 BGB stehende Interessenlage besteht auch bei der Geltendmachung, weil sich der Empfänger der durch die Geltendmachung ausgelösten Rechtsfolge nicht entziehen kann und eine ohne Vertretungsmacht vorgenommene Geltendmachung die Ausschlussfrist nicht wahrt. Unerheblich ist dagegen, ob es die konkrete Situation erfordert, dass der Arbeitgeber sofortige Gewissheit über die Wirksamkeit der Geltendmachung erhält und ob ein dahingehendes Interesse des Arbeitgebers schutzwürdig ist, weil § 174 BGB auch bei Willenserklärungen nicht nach den konkreten Interessen unterscheidet. Kein Argument gegen eine analoge Anwendung sind daher auch die einschneidenden Rechtsfolgen einer Ausschlussfrist. Ebensowenig spricht gegen die Anwendung von § 174 BGB, dass damit die Wirkungen der Ausschlussfrist erweitert werden (so aber Menssen, FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit in Rheinland-Pfalz, S. 205, 211), weil die Last eine Originalvollmacht beizufügen lediglich die Kehrseite des Vorteils ist, den das Vertretungsrecht dem Vertretenen bringt.
c) Zudem setzt sich das BAG unzulässig über den Willen der Tarifpartner hinweg, wenn es argumentiert, der Arbeitgeber habe kein schutzwürdiges Interesse an sofortiger Sicherheit. Die Tarifpartner haben die Ausschlussfrist vereinbart, damit ab Fristablauf Klarheit herrscht (BAG AP Nr. 78 zu § 4 TVG Ausschlussfristen: „alsbald Klarheit schaffen“). Kann die Geltendmachung nicht nach § 174 BGB zurückgewiesen werden, so steht auch nach Ablauf der Frist nicht fest, ob noch Ansprüche bestehen, weil dies u. a. davon abhängt, ob die Geltendmachung mit Vertretungsmacht erfolgte. Rechtssicherheit entsteht erst im Prozess, wo um die Vertretungsmacht gestritten wird. Der Schuldner hat keine Handhabe, sich vorher Klarheit zu verschaffen. Damit wird die Frist aufgeweicht, wodurch sie ihren Sinn verliert. Die Tarifpartner haben die Ausschlussfrist im Interesse punktgenauer Klarheit vereinbart. Das BAG darf dieses Interesse an sofortiger Klarheit nicht in Frage stellen. Die Beurteilung dieser Frage obliegt allein den Tarifpartnern.
d) Stellt man mit dem BAG darauf ab, dass der Schuldner mit der späteren Geltendmachung von Ansprüchen rechnen muss, wenn diese ihm gegenüber geltend gemacht werden (Erninnerungsfunktion der Geltendmachung), so kann man auf das Erfordernis bestehender Vertretungsmacht gänzlich verzichten. Auch eine vollmachtlose Geltendmachung kann den Schuldner an eine Pflicht erinnern. Soweit geht aber selbst das BAG nicht. Danach bleibt jedoch zu fragen, wie der Schuldner die unwirksame - weil vollmachtlose - Geltendmachung von einer wirksamen unterscheiden soll?
 
III. Praxisfolgen
Das Urteil des BAG kann nicht überzeugen. Die Praxis wird ihm gleichwohl folgen. Dabei ist zu beachten, dass die Genehmigung einer vollmachtlos erfolgten Geltendmachung nach Ablauf der Ausschlussfrist ausscheiden muss (vgl. Palandt61 – Heinrichs, § 184 Rdnr. 2; BAG, NJW 1987, 1038). Zu weit geht das BAG, wenn es jegliche Genehmigungsmöglichkeit verneint. Damit will es lediglich die Lücke schließen, die es durch die Nichtanwendung von § 174 BGB geschaffen hat; § 180 BGB steht mit § 174 BGB in untrennbarer Wechselbeziehung.

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