Auf dem Weg zum gläsernen Internetnutzer
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Auf dem Weg zum gläsernen Internetnutzer

Interview, Deutsch, NZ Netzeitung GmbH

Autor: Oliver J. Süme

Erscheinungsdatum: 27.03.2007


Aufrufe gesamt: 576, letzte 30 Tage: 1

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NZ Netzeitung GmbH

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Auf dem Weg zum gläsernen Internetnutzer

Persönliche Daten von Internet-Nutzern sollen monatelang gespeichert werden - für die Strafverfolgung. Oliver Süme vom Verband der IT-Wirtschaft warnt auf Netzeitung.de vor den Folgen.

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Mit einem neuen Gesetz sollen die Internetfirmen gezwungen werden, die Verbindungsdaten aller Nutzer sechs Monate lang zu speichern. Mit der so genannten Vorratsdatenspeicherung will man die Strafverfolgung erleichtern. Die Richtlinie soll bis Mitte des Jahres vom Kabinett verabschiedet werden. Kritiker sehen darin einen groben Verstoß gegen den Datenschutz und auch die Internet-Wirtschaft wehrt sich gegen die Umsetzung der Richtlinie. Bodo Mrozek sprach mit Oliver Süme vom Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V. (eco).
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Netzeitung.de: Ein Gesetzentwurf will die Daten von Internetnutzern speichern. Kommt jetzt der gläserne Internetnutzer?


Oliver Süme: Ich glaube, dass wir uns auf jeden Fall in diese Richtung bewegen. Bisher konnte man unbeobachtet das Internet nutzen und anonym kommunizieren. Das wird in Zukunft immer schwerer, sollten die Daten aufgezeichnet werden.


Netzeitung.de: Um welche Daten geht es? Welche Information sollen gespeichert werden?


Oliver Süme: Die Verbindungsdaten der E-Mail-Kommunikation, also: Wer hat wann an wen eine Mail geschickt? Außerdem soll aufgezeichnet werden, wer sich wann ins Internet wie lange eingeloggt hat. Und drittens geht es um die Internet-Telefonie. Auch dort sollen Absender und Zielwahlnummer gespeichert werden.


Netzeitung.de: Warum sollen diese Daten jetzt gespeichert werden?


Oliver Süme: Eigentlich ist der Hintergrund die Terrorismusbekämpfung nach dem 11. September. Außerdem gibt es bisher unterschiedliche Speicherpflichten in der EU, die sollen jetzt auf ein EU-weites Niveau angeglichen werden.
Netzeitung.de: Welche Daten wurden bisher gespeichert?


Oliver Süme: Bisher darf nur gespeichert werden, was zu Abrechnungszwecken notwendig ist. Das sind immer weniger Daten, da wir durch die Verbreitung von Flatrates keine Einzelgespräche mehr abrechnen – und deshalb auch keine Verbindungsdaten speichern müssen. Nun sollen die Anbieter gezwungen werden, solche Daten trotzdem zu speichern.


Netzeitung.de: Wie verhält es sich bei den Telefonanbietern?


Oliver Süme: Für die gilt das Gleiche wie für Internetprovider auch: Sie dürfen bisher nur die Daten speichern, die sie für die Abrechnung benötigen. Das soll sich auch dort ändern: Zur so genannten «anlassunabhängigen» Datenspeicherung sollen auch die Telefonanbieter gezwungen werden.


Netzeitung.de: Was stört Sie an dem Gesetz?


Oliver Süme: Einmal ist die rechtliche Grundlage äußerst umstritten. Sie ist möglicherweise auf einer falschen Ermächtigungsgrundlage zustande gekommen: Zuständig wäre wahrscheinlich der Europäische Rat gewesen, nicht die EU-Kommission. Aber abgesehen von solchen formalen Aspekten entstehen den Unternehmen erhebliche Kosten, weil künftig enorme Datenmengen gespeichert werden müssen. Das bedeutet Kosten für neue Technik. Und für eigenes Personal, das die Anfragen bearbeit.


Netzeitung.de: Wären Sie einverstanden, wenn der Staat die Kosten übernehmen würde?


Oliver Süme: Wenn der Staat versucht, Strafverfolgungsaufgaben auf die Privatwirtschaft zu übertragen, dann muss er auch die Kosten übernehmen. Aber wir haben darüber hinaus verfassungsrechtliche Bedenken.

Netzeitung.de: Was ist aus Ihrer Sicht die Hauptgefahr?


Oliver Süme: Wir sehen verschiedene Gefahren. Es ist doch eine Absurdität: Ursprünglich ging es darum, Terroristen zu bekämpfen. Nun sollen wir gewissermaßen vorbeugend die Daten von unbescholtenen Bundesbürgern speichern. Um damit einen Erfolg zu erzielen, müssten Terroristen zum Planen ihrer Aktivitäten öffentliche E-Mail-Dienste nutzen. Ich bin da kein Experte, aber das halte ich für sehr unwahrscheinlich.


Netzeitung.de: Die Speicherung lässt sich relativ einfach umgehen.


Oliver Süme: Natürlich. Jeder, der sich technisch ein bisschen auskennt, kann die Überwachung vermeiden. Man muss ja nur einen ausländischen Server nutzen, Anonymisierungsdienste oder einen eigenen E-Mail-Server einrichten. Damit lässt sich die Speicherung problemlos umgehen. Diese Möglichkeiten dürften auch Terroristen bekannt sein.


Netzeitung.de: Nun dient das Ganze ohnehin nicht mehr nur der Terrorismusbekämpfung, sondern längst auch minder schweren Delikten.


Oliver Süme: Ja, mit den ursprüngliche Ziel hat das alles immer weniger zu tun. Nach den derzeitigen Bestrebungen können auch Beleidigungen geahndet werden, die in Chat-Räumen geschehen, illegale Downloads, Betrugsversuche, etc. Alles, was im Internet an Rechtsverletzungen begangen werden kann. Das Gesetz wird gewissermaßen aufgebohrt.


Netzeitung.de: Besteht die Gefahr, dass auch qualitative Daten, also Gesprächsinhalte gespeichert werden?


Oliver Süme: Das ist ausdrücklich nicht Zweck der Richtlinie. Inhalte sollen ausdrücklich nicht gespeichert werden. Man muss allerdings bedenken, dass dies gerade bei E-Mails kaum zu trennen ist.


Netzeitung.de: Wieso?


Oliver Süme:Wenn Sie eine Mail-Verbindung speichern wollen, dann kann es passieren, dass die Betreff-Zeile mit dran hängt, und da stehen nun mal Inhalte drin. Und wenn ich speichere, wann jemand das Internet betreten hat, dann hängt daran die Information, welche Seite er besucht hat. Daraus lassen sich dann schon inhaltliche Informationen über die Gewohnheiten der Nutzer rekonstruieren.


Netzeitung.de: Sollten solche umfassenden Datensammlungen angelegt werden, so könnten neue Begehrlichkeiten nach Einblicken entstehen – beispielsweise der Musikindustrie, um illegale Downloads zu verfolgen.


Oliver Süme: Das ist nicht nur eine Gefahr, sondern schon Realität. Die Musikindustrie fordert ja bereits Einsicht in die Daten. Das ist noch nicht vorgesehen, aber man sieht an diesem Beispiel, dass Begehrlichkeiten geweckt werden, sobald die Daten einmal da sind. Je mehr gespeichert wird, desto mehr Interessengruppen werden sich melden.


Netzeitung.de: Wie realistisch ist Ihr Widerstand gegen die neuen Bestrebungen?


Oliver Süme: Unsere Kritik erfährt Zustimmung auf sehr breiter Basis: Neben anderen Wirtschaftsverbänden teilen Datenschützer, Verbraucherorganisationen und Bürgerrechtler unsere Bedenken. Wir hoffen schon, dass wir da noch etwas bewegen können.


Netzeitung.de: Derzeit wird auch die Ausspähung der Computer von Verdächtigen durch den Verfassungsschutz diskutiert. Sehen Sie da einen Zusammenhang?


Oliver Süme: Es gibt eine allgemeine Tendenz, die Überwachung im Internet auszuweiten. Dass grundsätzlich ein Bedürfnis nach Strafverfolgung im Internet besteht, bestreiten auch wir nicht. Im Gegenteil: Bei der Bekämpfung von Kinderpornographie arbeiten unsere Provider ja sehr eng operativ mit den Behörden zusammen. Das ist jedoch ein gewaltiger Unterschied, denn da geht es um konkrete Verfolgung von Straftaten, nicht um die unterschiedslose Speicherung der Daten von mehrheitlich unschuldigen Kunden.


Netzeitung.de: Sehen Sie da einen generellen Trend?


Oliver Süme: Momentan muss ich leider davon ausgehen, dass diese Tendenzen in Zukunft noch zunehmen werden.


Oliver Süme ist Vorstand für Recht und Regulierung im Verband der deutschen Internetwirtschaft (eco). Als Rechtsanwalt ist er auf Fragen des IT-Rechts spezialisiert. Nach Verbandsangaben hat der eco mehr als 300 Mitgliedsunternehmen, die rund 200.000 Mitarbeiter beschäftigen und einen Umsatz von 400 Milliarden Euro im Jahr erwirtschaften.


Mit Oliver Süme sprach Bodo Mrozek.

Oliver J. Süme

DE, Hamburg

RICHTER & SÜME Rechtsanwälte · Steuerberater

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