Terror-Gruppen nehmen deutsche Firmen ins Visier - Welt.de
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Beitrag, Deutsch, Eine Seite, Axel Springer SE Berlin

Autor: Carsten Baeck

Herausgeber / Co-Autor: N. Doll und H. Evert

Erscheinungsdatum: 29.05.2011

Quelle: http://www.welt.de/wirtschaft


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Terror-Gruppen nehmen deutsche Firmen ins Visier

Welt.de vom 29.05.2011 (Zitate von Carsten Baeck markiert)

Der Brandanschlag auf die Deutsche Bahn ist nur das jüngste Beispiel. Sicherheitsexperten sprechen schon von einer "Vorstufe für einen neuen Terror".
Die Genossen vom Aktionskommando „Das Grollen des Eyjafjallajökull“ können zufrieden sein. Vier Tage und Nächte lang dauerten die Aufräum- und Reparaturarbeiten der Deutschen Bahn in Berlin, vier Tage lang war wieder einmal Krisenmanagement im Konzern angesagt.
Erst seit Freitag fährt die S-Bahn wieder regulär, nachdem in der Nacht zu Montag ein Kabelschacht durch einen Brandanschlag zerstört worden war. Mehr als 100 Leitungen schmolzen, Stromversorgung, Internetleitungen und Kabel von Mobilfunkanbietern wurden gekappt. Hunderttausende Pendler blieben auf der Strecke, Handybesitzer fluchten, Internet-Surfer waren offline.
Bald darauf tauchte in einem linken Internetforum ein Bekennerschreiben auf. In dem wirren Elaborat der Gruppe, die sich nach dem Vulkan in Island benannt hat, heißt es: „Wir bestreiken die quälende und mörderische Normalität.“
Es war der spektakulärste Anschlag auf ein Unternehmen, den Deutschland seit Langem gesehen hat, und der vorläufige Höhepunkt einer brisanten Entwicklung, die Sicherheitsstrategen in Behörden und Unternehmen zunehmend Sorge bereitet.
Erregte Debatten um den Atomausstieg, um Stuttgart 21 oder die Verantwortung von Banken in der Finanzkrise senken bei einigen Menschen im politischen Randbiotop weit links die Hemmschwelle. Unternehmen als Repräsentanten und Träger des verhassten Systems rücken ins Visier. Besonders gut vorbereitet sind sie darauf nicht.

Brandanschläge auf DHL-Fahrzeuge

„Vertreter des Systems“ gibt es für die militante Linke viele. Den Paketdienst der Deutschen Post, DHL, zum Beispiel. Den erkoren linke Gruppen im Jahr 2009 zum Anschlagsziel. Überall in der Bundesrepublik wurden Fahrzeuge angezündet. Das Unternehmen befördert im Auftrag der Bundeswehr Ausrüstung zu internationalen Einsätzen. „DHL ist Teil der deutschen Kriegsführung in Afghanistan“, beschied eine Gruppe, die 2009 im Berliner Stadtteil Neukölln einen Laster abfackelte, in einem Schreiben.

Ein fast schon natürliches Anschlagsziel sind Energiekonzerne und Banken. Immer wieder brennen Fahrzeuge von RWE, E.ON und Vattenfall. Vor zwei Wochen, wieder in Berlin, brannte es bei Vattenfall gleich zweimal: vor einem Heizkraftwerk und vor einem Bürohaus des Versorgers.

Hessens Verfassungsschutzpräsident Roland Desch, in dessen Zuständigkeitsbereich die Bankenmetropole Frankfurt fällt, konstatiert: „Im Aktionsfeld ‚Antikapitalismus‘ sind im Schutz der Nacht durchgeführte Sachbeschädigungen – etwa an Bankfilialen – die Regel.“

Es trifft auch landwirtschaftliche Betriebe

Man kennt das Phänomen aber auch abseits der Metropolen. Im niedersächsischen Sprötze wurde 2010 eine fast betriebsbereite Hähnchenmastanlage abgefackelt. „Nichtmenschliche Tiere werden als nutzbare Ressource angesehen und behandelt“, eiferten die Aktivisten der Animal Liberation Front in einem Bekennerschreiben – und drohten: „Alle Versuche, die Mastanlage wieder aufzubauen, um Profit auf Kosten von Individuen zu machen, werden wir verhindern.“

Carsten Baeck, ehemaliger Kripomann und heute Unternehmer, verfolgt die Gewaltspirale seit Langem. Der Chef der Deutschen Risikoberatung (DRB) in Berlin, der viele Unternehmen berät, ist überzeugt: „Die Fälle politisch motivierter Gewalt gegen Unternehmen werden zunehmen.“ Baeck sieht immer mehr gesellschaftliche Reizthemen, die potenziellen Straftätern als Anlass für Anschläge dienen könnten. „Afghanistan-Krieg, Libyen, Flüchtlingsproblematik, Atomausstieg: Energie- oder Rüstungsunternehmen und alle, die als Helfershelfer des Staats gelten, geraten ins Visier“, sagt Baeck. Und richtig gewappnet seien nur wenige Konzerne.

Securitas sieht erhöhte Gewaltbereitschaft

Warnende Töne gibt es auch beim größten globalen Wachschutzunternehmen Securitas, das in Deutschland auch Atomkraftwerke bewacht. Thomas Mensinger von Securitas sagt: „Die Gewaltbereitschaft nimmt zu, und man nimmt eher in Kauf, Menschenleben in Gefahr zu bringen.“ Wobei Wachunternehmen und Risikoberater nicht schlecht daran verdienen, wenn in den Unternehmen das Sicherheitsbedürfnis wächst.
Am meisten gefährdet sind Firmen mit großer Infrastruktur aus den Branchen Energie, Telekommunikation und Verkehr oder Banken mit einem großen Filialnetz: Sie alle sind leicht angreifbar. Aber kein Unternehmen trifft es wohl so hart wie die Deutsche Bahn mit ihren 34.000 Gleiskilometern, mit ihren Stromleitungen, Bahnhöfen und Fahrscheinautomaten.

Das Kapital des Staatskonzerns ist gut erreichbar für jedermann, auch für diejenigen, die ihm Übles wollen. „Die Anzahl der Delikte steigt nicht dramatisch, aber die kriminelle Energie und Rücksichtslosigkeit der Täter“, sagt Gerd Becht, der sich im Vorstand der Bahn um Compliance, Recht und Datenschutz kümmert. Becht bereitet vor allem das sorgsam geplante Vorgehen Sorge: „Im Internet werden in Foren Anschlagsziele diskutiert oder Pläne zur Ausführung von Sabotageakten verbreitet. Ganze Landkarten mit möglichen Zielen kursieren.“
Sicherheit kostet Bahn Millionen

Für die Sicherheit wendet die Bahn jährlich rund 160 Millionen Euro auf. Trotzdem entstehen dem Unternehmen jedes Jahr Schäden in Höhe von rund 50 Millionen Euro. Der Brand am Berliner Ostkreuz dürfte die Kosten in diesem Jahr deutlich in die Höhe treiben. Bislang ist die Schadenssumme noch gar nicht absehbar.

In Zukunft könnte das noch teurer werden, folgt man den Äußerungen von Sicherheitsexperten wie Carsten Baeck oder dem Terrorismusexperten Rolf Tophoven, der in Essen das Institut für Krisenprävention leitet. „Wir erleben derzeit eine Welle von Gewalt gegen Unternehmen, die an die Zeit vor und bis zur RAF erinnert“, sagt Baeck.
„Politisch motivierte Straftaten haben die schwerwiegendsten Folgen für Unternehmen.“ Denn wenn ein Konzernname stets mit brisanten Gesellschaftsthemen in Zusammenhang gebracht werde, schade dies dem Image. „Das wiegt weitaus schwerer als der materielle Schaden durch die Anschläge selbst“, so Baeck.

Sich zu wehren falle auch Unternehmen zunehmend schwer, weil es anders als in der Vergangenheit keine klar erkennbare Tätergruppe gebe, sagt Tophoven. Er spricht von „einer Art Feierabendterroristen“ die nach Aktionen in der Anonymität verschwinden.

Firmen brauchen Notfallmanagement
Aber auch Tophoven kritisiert, dass es vielen Unternehmen am richtigen Umgang mit der neuen Lage mangele. Man müsse Bekennerschreiben genau studieren, strategische Analysen vornehmen und versuchen, potenziellen Tätern einen Schritt voraus zu sein. Baeck rät nach angelsächsischem Vorbild zur sogenannten Business-Impact-Analysis, also einer „kontinuierlichen Risikobetrachtung“. „In Deutschland setzt man auf ein Notfallmanagement. Die Firmen werden erst aktiv, wenn etwas passiert ist“, so Baeck. Dann sei es aber meist zu spät.

So wie für manchen Landwirt, vor allem wenn er sich der Eier- und Fleischproduktion widmet. „Wir beobachten seit drei, vier Jahren eine zunehmende Radikalisierung sogenannter Tierschützer“, sagt Michael Lohse vom Deutschen Bauernverband. Das gehe bis hin zu Einbrüchen in Ställe oder Bedrohung von Kindern. Im schlimmsten Fall brennt dann eine Mastanlage wie in Sprötze.

Besonders hart trifft es aber Unternehmen in der deutschen Hauptstadt. Michael Böhl, Chef des Berliner Landesverbandes des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), fordert eine neue Sicherheitsstrategie zum Schutz der Wirtschaft und gemeinsame Konzepte von Behörden, Firmen und Verbänden. „Aber die Unternehmen schotten sich ab, jeder macht sein Ding“, klagt Böhl.

Es wäre wohl fatal, wenn dies so bliebe. Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, erinnert daran, dass mit Anschlägen wie in Berlin „die Gesellschaft an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen“ wird. Er sieht die Attacke vom Ostkreuz als Testlauf für weit schwerere Anschläge. In dem Berliner Brandanschlag sieht er jedenfalls die „Vorstufe für neuen Terror“.

Carsten Baeck

DE, Berlin

Geschäftsführender Gesellschafter

DRB Deutsche Risikoberatung GmbH

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