Automatische Projektierung von Produktionsanlagen im übergeordneten Leitsystem
Automatische Projektierung von Produktionsanlagen im übergeordneten Leitsystem

Automatische Projektierung von Produktionsanlagen im übergeordneten Leitsystem

Beitrag, Deutsch, 4 Seiten, Gito mbH Verlag für Industrielle Informationstechnik und Organisation

Autor: Dr. Olaf Sauer

Erscheinungsdatum: 2007

Quelle: PPS-Management 4/2007

Seitenangabe: 24-27


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Gito mbH Verlag für Industrielle Informationstechnik und Organisation

Preis: kostenlos

Bezugsquelle:

Sauer, Olaf; Ebel, Miriam:
Automatische Projektierung von Produktionsanlagen im übergeordneten Leitsystem

Abstract: Produktionssysteme werden laufend angepasst, weil sich Änderungen an den Produkten ergeben, Kapazitäten aufgrund schwankender Bedarfe neu justiert werden müssen oder rationellere Fertigungstechnologien eingesetzt werden. In der Praxis führen Änderungen an Produktionsanlagen nicht nur zum räumlichen ‚Verschieben’ von Anlagen innerhalb eines Werkes, sondern vor allem zu Anpassungen an der steuernden Software von Maschinen und Anlagen, z.B. speicherprogrammierbaren Steuerungen (SPSen), sowie an der Informationstechnik, die den unmittelbaren Anlagensteuerungen überlagert ist und die z.B. automatisierte Anlagen überwacht oder die Belegung einzelner Anlagen mit Arbeitsgängen plant und steuert. CIRP, die weltweite Organisation produktionstechnischer Wissenschaftler, bezeichnet diese Fähigkeit zur permanenten Änderung als zukünftigen strategischen Wettbewerbsvorteil von Fabriken und Produktionssystemen [1]. Unter „plug-and-work“ verstehen die Autoren die automatische Erkennung von Anlagen im übergeordneten Leitsystem, auf der Ebene der heute so genannten Manufacturing Execution Systeme.

Einleitung


Gleichzeitig müssen sich Maschinen- und Anlagenhersteller immer wieder neu an die jeweiligen ‚Hausstandards‘ ihrer Kunden, den Anlagenbetreibern, anpassen. Ein Beispiel dafür, mit dem das IITB sich in seinen Projekten auseinandersetzt, ist der DaimlerChrysler-Standard „IntegraDCX“.
Dieser Standard umfasst
• Komponenten, z.B. SPSen, Antriebe, etc.,
• Automatisierungsfunktionen, z.B. ProfiNet,
• Anlagen-Diagnosekonzept, z.B. Anlagenvisualisierung,
• Verteilung an Standorte und Anlagenlieferanten,
• Service und Wartung, z.B. 1st, 2nd, 3rd level Support und
• ein Trainingskonzept der Mitarbeiter.


Die Komponentenstandardisierung umfasst dabei unter anderem
• Vorgaben für SPS-Funktionsbausteine und
• Namenskonventionen für SPS-Variable.

Aufgrund des Nutzens eines solchen Standards für Anlagenbetreiber wie die DaimlerChrysler AG ist es absehbar, daß andere Betreiber ähnliche Hausstandards entwickeln; für mittelständische Maschinen- und Anlagenhersteller eine große Herausforderung. Aus diesen ‚Hausstandards‘ mit den o.g. Vorgaben ergeben sich Auswirkungen für Maschinen-/ Anlagenhersteller, und zwar bezüglich
• Bezeichnung von SPS-Variablen und –Bausteinen,
• zu verwendende Anlagenkomponenten,
• Investitionen in Engineering- (CAE-) und Anlagensoftware,
• zu verwendenden Automatisierungssystemen,
• Vorgehen bei mechanischer und elektrischer Konstruktion,
• Art und Werkzeuge der Steuerungsprogrammierung.

Aufgrund der spezifischen Anforderungen an die Anlagentechnik, die sich aus den vielfältigen Fertigungsaufgaben ergeben, existiert heute eine nahezu unübersehbare Vielfalt an Maschinensteuerungen, Softwareversionen und überlagerten IT-Systemen. Bei Änderungen an den Anlagen muss diese Software stets mit angepasst werden, was in der produzierenden Industrie zu hohen Aufwendungen führt. Werkzeuge der ‚Digitalen Fabrik’ werden heute hauptsächlich zur Planung von Produktionssystemen eingesetzt; den operativen Betrieb hingegen unterstützen Manufacturing Execution Systeme, d.h. IT-System, die dem unmittelbaren operativen Betrieb in der Werkstatt nutzen [2].
Bislang existiert zwischen Produktionsanlagen und deren Steuerungen sowie der überlagerten Informationstechnik kein Standardprotokoll, das beispielsweise Struktur und Inhalte der Fähigkeiten und Zustände von Produktionsanlagen an die steuernde oder überwachende Software festlegt. Demgegenüber existieren zur Einbindung von Feldgeräten in das industrielle Netzwerk, z.B. Industrial Ethernet, ProfiBus, ProfiNet, etc., einige Standards, allerdings meist bezogen auf das jeweilige Netzwerkprotokoll oder herstellerbezogen, d.h. nur für Siemens- SPSen oder andere Fabrikate. Zukünftig werden die in den Werkzeugen der ‚Digitalen Fabrik’ abgelegten Informationen genutzt, um Produktionsanlagen und überlagerte IT-Systeme zu parametrieren, virtuell in Betrieb zu nehmen und virtuell zu betreiben [3]. Die entsprechenden operativen IT-Systeme sollen möglichst schon zur Inbetriebnahme der geänderten oder neuen Produktionsanlagen voll verfügbar sein (Bild 1).

Bild 1: Ziel der frühen Kopplung von Planung und Betrieb: frühe Inbetriebnahme produktionsnaher IT-Systeme
Trends bei produktionsnahen IT-Systemen


Als betroffene Ebene innerhalb der unternehmensweiten Hierarchie der Informationstechnik adressieren die hier beschriebenen Arbeiten die Fertigungsleit- und teilweise die Zellenebene. Aktuell wird erwartet, daß diese Systeme sich in den kommenden Jahren zu Informationsdrehscheiben in der Fabrik entwickeln, und zwar sowohl für die diskrete Fertigung als auch für die Prozessindustrie. Gleichwohl liegt die Marktdurchdringung heute erst bei rd. 5-10%, das prognostizierte Wachstum dagegen bis 2010 bei jährlich rd. 11% [4]. Vor diesem Hintergrund können die hier beschriebenen Arbeiten als MES-Treiber gesehen werden, da sie maßgeblich dafür sorgen, dass produktionsnahe Informationstechnik und Anlagensteuerungen herstellerübergreifend automatisiert miteinander kommunizieren können.
Für MES-Systeme von morgen lassen sich die im folgenden beschriebenen Trends ausmachen. Anhand von Beispielen werden anschließend die Trends 1 und 3 näher beleuchtet, da sie für das Zusammenwachsen von Digitaler Fabrik und produktionsnahmen IT-Systemen relevant sind. Simulation im Sinne einer mitlaufenden Realzeit-Simulation spielt dabei zunehmend eine Rolle, um bei steigender Produktions- und IT-Komplexität Auswirkungen von Eingriffen in den Prozeß zu jederzeit zu verdeutlichen [5]. Manufacturing Execution Systeme von morgen werden gekennzeichnet sein durch
• Volle Kopplung an die Digitale Fabrik, u.a. mit dem Ziel permanenter Planungs¬bereitschaft,
• Simulation als Frontend im Sinne einer mitlaufenden Realzeit-Simulation zur schnellen Reaktion auf unvorhergesehene Ereignisse,
• vertikale Integration mit der Fertigungsebene unter Nutzung von Standard Plug-and-work-Mechanismen,
• horizontale Integration durch Service-orientierten Aufbau und durchgängiges Datenmanagement,
• Skalierbarkeit bis hin zur Unterstützung dezentral selbstorganisierender Produktion („RFID statt BDE“),
• „Human-centered“ durch aufgaben- und rollenspezifische Versorgung der Anwender mit Informationen.
Die Trends 1 und 3 werden in diesem Artikel näher beleuchtet.

Aktuelle Arbeiten zur Verbindung von Digitaler Fabrik und MES

Übersicht

Durch das absehbare Zusammenwachsen von Planung und Betrieb ergibt sich ein Bedarf an F&E-Leistungen und an Standardisierung, z.B. von Schnittstellen zwischen den Systemwelten. Das Fraunhofer Institut für Informations- und Datenverarbeitung (IITB) mit seinem Geschäftsfeld ‚Leitsysteme’ arbeitet daran, Daten aus der Digitalen Fabrik für Manufacturing Execution Systeme nutzbar zu machen [6]. Dazu zählt beispielsweise, daß Daten, die zur Projektierung von MES-Systemen erforderlich sind, in einem neutralen Austauschformat, z.B. XML, aus Werkzeugen der Digitalen Fabrik [7] ausgelesen und der MES-Projektierung zur Verfügung gestellt werden. In der Digitalen Fabrik werden Anlagenstruktur, Anlagenparameter, Fertigungsabläufe und Anordnung von Anlagen gehalten. Das Engineering von MES-Systemen erfordert ebenfalls Angaben über Strukturen von Produktionsanlagen und deren Parameter, Fertigungsabläufe sowie SPS-Programme und –Variable. Die Vision des „plug-and-work“ zwischen Anlage und MES-System besteht aus den folgenden Bausteinen:
• automatisierte Projektierung/Engineering von Leit- und anderen MES-Systemen mit dem Resultat schneller Softwareinbetriebnahme und weniger Projektierungs¬fehler,
• Bereitstellung einer Technologie, mit der ein unternehmensweiter Namensraum definiert wird, auf dessen Basis die Verständigung über Inhalt und Bedeutung zwischen Maschinen/ Anlagen und IT-Infrastruktur eindeutig möglich ist,
• Bereitstellung von Mechanismen zur automatischen Identifikation neuer Maschinen/Anlagen in einem Produktionssystem, einschließlich einer Beschreibung des zugehörigen Fertigungsvermögens der neuen Maschinen/Anlagen, Schaffen von Vorgehen, Verfahren und Softwarekomponenten zur automatischen Verbindung von Anlagen mit den über-geordneten IT-Systemen und Mechanismen, um die anlageninternen Informationen diesen IT-Systemen anzubieten.


Stand der Projektierung produktionsnaher IT-Systeme

Ein gängiges Beispiel für den IST-Stand in heutigen Unternehmen mit seinen Systembrüchen und manuellen Eingriffen bei der Integration von Anlagen und deren Steuerung in betriebliche IT-Anwendungen ist in Bild 2 dargestellt. Zur Kommunikation ist zunächst die IP-Adresse der einzubindenden Steuerung im Netzwerk zu veröffentlichen. Danach muss der steuerungsspezifische OPC-Server dem Client, auf dem die betriebliche Anwendung läuft, bekannt gegeben werden. Im nachfolgenden Schritt sind aus dem vom OPC-Server bereitgestellten Variablenhaushalt über einen Browser alle relevanten Variablen manuell auszuwählen und mit dem vorab erstellten Prozessabbild zu verbinden.
Die Ausgangssituation ist zusammengefasst gekennzeichnet durch eine überwiegend manuelle Projektierung sowie manuelle Konfigurationen von Anlagensteuerungen und übergeordneten IT-Systemen.

Bild 2: Heutige Vorgehensweise zur Einbindung von Anlagen und deren Steuerungen am Beispiel von SPSen

XML zur Unterstützung von plug-and-work

Derzeit werden standardisierbare Methoden, Softwarekomponenten und Anwendungen entwickelt, mittels derer Produktionsanlagen einfach, schnell und sicher in ein Produktionssystem integriert werden können, bzw. Änderungen an Anlagen und deren Steuerungen automatisch im Produktionssystem und der überlagerten IT propagiert werden (Bild 3).

Bild 3: Plug-and-work von Produktionsanlagen am Beispiel der Visualisierung einer Anlagenüberwachung
Dazu werden möglichst existierende Standards genutzt, und zwar zur Beschreibung der statischen Eigenschaften von Produktionsanlagen CAEX (Computer Aided Engineering Exchange) und OPC-UA für dynamische Komponenten. CAEX wird in der Prozeßindustrie eingesetzt, um den Aufbau und die Struktur verfahrenstechnischer Anlagen zu beschreiben, OPC-UA dagegen für steuerungsrelevante Variable, deren Werte sich während der Produktion dynamisch verändern.
Dabei liefern Anlagen und ihre Steuerungen Dateien, die ihre Fähigkeiten beschreiben, und zwar in einem standardisierten Format. Als Format hat das IITB CAEX ausgewählt, nach IEC-PAS-62424 [8]. Über Transformationen werden die Dateien in projektierungs- und visualisierungsrelevante Anteile aufgeteilt und daraus entweder Prozessführungsbilder erzeugt oder die Daten in eine Datenbank eingelesen, aus der EA- und Anlagenprojektierung für das Prozessabbild des Laufzeitsystem generiert werden (Bild 4).

Bild 4: Nutzung von XML-Standards zur automatischen MES-Projektierung

Ausblick


Die beschriebenen Arbeiten werden im weiteren komplettiert um die Übernahme von Daten aus Softwarewerkzeugen zur Planung von Fabriken. Interessant für die automatische Projektierung sind hier vor allem Topologieinformationen, z.B. Hallenlayouts, um die zu visualisierenden Elemente von Prozessführungsbildern korrekt anzuordnen und SPS-Programme im Sinne von Anlagenlogiken. Mit den bekannten Herstellern von Digitalen Fabrik-Tools arbeitet das IITB daran, diese Informationen für MES-Systeme nutzbar zu machen.

Literaturverzeichnis
[1] Wiendahl, H.-P. et.al.: Changeable Manufacturing - Classification, Design and Operation. Key note paper zur CIRP General Assembly, August 2007.
[2] Sauer, O.: Einfluss der Digitalen Fabrik auf die Fabrikplanung. wt Werkstattstechnik online, Heft 01/02, 2004, Seite 31-34.
[3] Sauer, O.: Digitale Fabrik und MES. IT&Production: MES Wissen Kompakt 2007, S. 18-21.
[4] Frost & Sullivan Studie World Manufacturing Execution Systems Markets vom Juli 2004.
[5] Sutschet, G.: Störung im Griff. Ein Produktionsassistent für die Automobilfertigung. visIT 2 (2001), No. 2, S. 6-7.
[6] Sauer, O.; Sutschet. G.: ProVis.Agent: ein agentenorientiertes Leitsystem – erste Erfahrungen im industriellen Einsatz. VDE-Kongress 2006, Aachen: Innovations for Europe. 23-25. Oktober 2006, Band 2: S. 297-302.
[7] VDI-Richtlinie 4499 Digitale Fabrik, Blatt 1.
[8] Draht, R.; Fedai, M.: CAEX - ein neutrales Datenaustauschformat für Anlagendaten - Teil 1 und 2. Automatisierungstechnische Praxis - atp Band 46 (2004) Heft 2, Seite 52-56 und Heft 3, Seite 20-27.

Dr. Olaf Sauer

DE, Karlsruhe

stv. Institutsleiter

Fraunhofer Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB

Publikationen: 32

Veranstaltungen: 6

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