Demografischer Wandel und wirtschaftliche Auswirkung
Demografischer Wandel und wirtschaftliche Auswirkung

Demografischer Wandel und wirtschaftliche Auswirkung

Beitrag, Deutsch, 2 Seiten, Forum Verlag Herkert GmbH

Autor: Jürgen Dettbarn-Reggentin

Erscheinungsdatum: 2006


Aufrufe gesamt: 8351, letzte 30 Tage: 2

Kontakt

Verlag

Forum Verlag Herkert GmbH

Telefon: +49-82 33-381-0

Telefax: +49-82 33-3 81-2 12

Preis: Kostenlos

PDF herunterladen

Die demografischen Auswirkungen wie sinkende Geburtenraten, abnehmende Zuwanderungen und zugleich steigende Lebenserwartungen wirken in alle gesellschaftlichen Bereiche hinein. Probleme des Leerstands von Wohnungen bis hin zu schrumpfenden Städten mit den Folgen der Anpassung der netzgebundenen Ver- und Entsorgungssysteme müssen zugunsten des Gemeinwesens „Kommune“ gelöst werden. Die Alterung der Gesellschaft ist seit Jahren ein Thema, sie wurde jedoch eher als eine Machtfrage zwischen Jung und Alt und weniger als ein wirtschaftliches Problem angesehen. Verteilungskämpfe sind bisher ausgeblieben und die Frage stellt sich nun etwas anders, da eine Umstellung des sozi-ökonomischen Systems auf die veränderte und reduzierte Bewohnerschaft in Städten und Landkreisen weitere Überlebensstrategien der Kommunen erforderlich machen.
Mit der Abwanderung junger erwerbsfähiger Menschen und dem Ausbleiben des Nachwuchses gerät das wirtschaftliche und soziale Sicherungssystem in Frage. Es fehlen jüngere Erwerbstätige auf dem Arbeitsmarkt und es wird zunehmend schwieriger,  Produkte abzusetzen, die auf eine jüngere Kundschaft und somit andere Bedürfnisstrukturen treffen.

Als eine der ersten Branchen hat es die Immobilienwirtschaft erfahren müssen, dass der Marktzugang nunmehr über Angebote an die alternde Gesellschaft und deren speziellen Bedürfnisse erfolgen müsse. Mit der abnehmenden Nachfrage nach Wohn- und Büroimmobilien musste ein Ausgleich in einem Bereich gefunden werden, in dem auch zukünftig Wachstumsraten zu erwarten sind. Mit der Finanzierung und dem Bau von Pflege- und Sozialimmobilien scheint dieser Bereich gefunden zu sein, denn die Zuwächse in den Altersgruppen der über 65-Jährige und mehr noch bei den über 80-Jährigen lassen einen zunehmenden Bedarf an Wohnungen des Betreuten Wohnens wie auch an Heimplätzen erwarten. Selbst bei relativ gleich bleibender Nachfrage in diesen Altersgruppen nach entsprechender Wohn- und Pflegeversorgung wird allein durch die absolut steigenden Zahlen älterer Menschen in den kommenden 20 bis 30 Jahren mit einem zusätzlichen Bedarf von ca. 14.000 bis 18.000 Pflegebetten jährlich gerechnet (Dettbarn-Reggentin, 2006). Selbst wenn sich die vorausberechneten Zahlen nicht in dieser Höhe realisieren, bleibt ein erheblicher Bedarf an sozialen und gesundheitlichen Dienstleistungen mit all seinen Nebenprodukten und Einrichtungen einschließlich des Finanzdienstleitungsmarktes. So gesehen schafft „Altern“ Arbeitsplätze, die dazu beitragen, in strukturschwachen Regionen eine gewisse Bindekraft auf jüngere Menschen auszuüben und ihnen eine Berufsperspektive zu geben. In einigen Regionen wird der Bereich der sozialen Dienstleistungen die einzige Wachstumsbranche sein.
Da die Wachstums- und Schrumpfungsregionen asymmetrisch verteilt sind, mitunter auch räumlich nahe beieinander, bieten sich interkommunale Kooperationen an, die überschneidende Investitionen und Verdoppelungen in der Infrastruktur vermeiden helfen, wie es etwa in Südniedersachsen mit der Modellplanung zur generationsübergreifenden Infrastrukturentwicklung oder im Regionalverband Ruhr zur Entwicklung innovativer Ansätze innerkommunaler Kooperation zur Anpassung und Sicherung der Infrastruktur bereits begonnen wurde (Gladow, 2006).

Eine Branche, die sich zukünftig stärker auf die älter werdenden Kunden einstellen muss, ist der Einzelhandel. Der Trend, große Supermärkte auf der grünen Wiese außerhalb des Ortskerns zu eröffnen, wird in Anbetracht weniger mobiler Menschen zurückgehen. Gefragt sind wohnortnahe Geschäfte in Zentrumslage, leicht erreichbar und verkehrsgünstig erschlossen. Zudem wird erwartet, dass der Einzelhandel barrierefrei erreichbar ist und einen kundenfreundlichen Service bietet. So hat der EDEKA Konzern mit einem Pilotprojekt begonnen, sich auf die wachsende Kundenzahl der Senioren einzustellen. Im „Supermarkt der Generationen“ ist die Ausstattung auf die besonderen Belange älterer Menschen ausgerichtet worden. Auch andere Branchen haben begonnen, sich auf die neue Konsumentengruppe einzustellen. Reiseunternehmen, Gaststätten- und Hotelleriegewerbe oder auch Versicherungen bieten speziell auf die älteren Kunden zugeschnittene Dienste an (Gladow, 2006).

Die Produktion von Gütern, die auch bei eingeschränkter Mobilität, Nachlassen der Sinnesorgane oder kognitiver Fähigkeiten nutzbar sind  muss verbreitert werden. Bewährt hat sich hier, wie in anderen kommunalen gesellschaftlichen Bereichen auch, die Einbeziehung von freiwillig Engagierten. Eine besondere Form des Verbraucherschutzes stellt die Initiative „Senior-Scouts“ dar. Senior-Scouts sind ältere Freiwillige, die als freie Marktforscher Produkte und Dienstleistungen aus dem Blickwinkel älterer Menschen auf ihre Lesbarkeit und Gebrauchsfähigkeit testen. Gegründet wurde diese Initiative 2001 in Nürnberg durch die Agentur für Senioren Marketing und wies 2005 ca. 500 Mitglieder im Alter zwischen 50 und 80 Jahren auf.
In Saarbrücken wurden auf kommunaler Ebene ebenfalls Bürger zur Mitwirkung angeregt. Mit der Förderung durch öffentliche und private Mittel wurden zur Unterstützung der lokalen Ökonomie sowie sozialer und kultureller Projekte ein Rabattheft (Q-pong, Gutscheinheft zur Förderung sozialer und kultureller Projekte) herausgegeben. Es wurden Gutscheine aus Gastronomie, Einzelhandel und Handwerksbetrieben zusammengestellt (Wert 500,- DM) und für 15,- DM angeboten. Die Gutscheine sparen nicht nur Geld des Konsumenten, sondern sie lenken auch die Kaufkraft in die Gebiete der beteiligten Firmen. Mit dem Erlös werden soziale und kulturelle Projekte gefördert (Reggentin / Dettbarn-Reggentin, 2005).

Im Bildungssektor wird der demografische Wandel direkt nachvollziehbar: Weniger Kinder und somit weniger Auszubildende und Studierende. Der Rückgang junger Erwachsener in den Bildungseinrichtungen wird zukünftig mehr noch als bereits heute durch ältere Hörer bzw. Bildungsteilnehmer kompensiert werden müssen. Die Voraussetzungen in Form von höherer Schulbildung wird bei der zukünftig älteren Generationen besser vorhanden sein, als bei den heute älteren Menschen. Bildung wird zum primären Bestandteil einer Alternskultur (Dettbarn-Reggentin, 1992), die den Schlüssel zu einer kulturellen Teilhabe und somit zum eigenen Lebensstil bedeuten. Es besteht ein wachsender Bedarf im Zuge der Individualisierung und Singularisierung die kulturelle Teilhabe mittels Bildung abzusichern. Bildungseinrichtungen wie Volkshochschulen oder Universitäten müssen sich darauf einstellen, die älteren Menschen über die Beteiligung an der Bildung bei der Ausbildung ihrer Zukunftsbestimmung, Lebensziele und Identitätsausbildung zu unterstützen.

Demografischer Wandel bedeutet mehr als Alterung oder Bevölkerungsrückgang. Es wandeln sich auch Einstellungen, Lebensstile und Haushaltsformen. Mit dem demografischen Wandel wird der Umfang des gesellschaftlichen Wandels deutlich, der gerade auf kommunaler Ebene vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten bietet.

Publikationen: 1

Aufrufe seit 09/2011: 652
Aufrufe letzte 30 Tage: 1