Der Neoliberalismus als Neologismus
Der Neoliberalismus als Neologismus

Der Neoliberalismus als Neologismus

Beitrag, Deutsch, 5 Seiten, Liberal Verlag Berlin

Autor: Ursula Pidun

Erscheinungsdatum: 05.01.2006

Quelle: Friedrich-Naumann-Stiftung Potsdam

Seitenangabe: 5


Aufrufe gesamt: 1038, letzte 30 Tage: 1

Kontakt

Verlag

Liberal Verlag Berlin

Preis: kostenlos

Bezugsquelle:

Auszug aus dem Artikel

Geheimnisvoll, nebulös und beunruhigend taucht er aus dem Hinterhalt auf, droht mit dem angeblichen sozialen Exitus und schürt nicht nur des Sozialisten Kampfeslust. "Aufgepasst, der Neoliberalismus geht um", hallt es durch die Republik.
Nicht nur in Wahlkampfzeiten dient der Begriff "Neoliberalismus" als Wortwaffe pro soziale Kälte und muss in seichten Talk-Runden als Bedrohung für soziale Marktwirtschaft herhalten. Ganz allgemein begründen dort so manche Experten ihre Ökonomie-feindlichen Thesen immer dann mit diesem Wort, wenn klare Argumente fehlen. Der sozialdemokratische Frontkämpfer Ludwig Stiegler beispielsweise feuerte kürzlich in der wöchentlichen Phönix-Runde treffsichere Dialektik als Live-Übertragung auf den schon geplagten Bürger ab. Munitioniert war seine Waffe mit dem Begriff "Neoliberalismus" und der Schuss hinterließ ohne nähere Detailinformationen marktradikale, unmenschliche und unsoziale Schmauchspuren. Ein Begriff, als Worthülse missbraucht und als Leerbegriff instrumentalisiert. Doch ist Stiegler nur einer von vielen, die mit einer Wortkreation Angst schüren und Unsicherheit verbreiten. Und auch Bürger, die die Welt nicht mehr verstehen, übernehmen den konstruierten Begriff gerne als Erklärung des nahenden Untergangs. Doch wissen sie auch, wovon sie sprechen?

Fragt man einen Mitmenschen, sieht er soziale Privilegien davonschwimmen, die er nie hatte. Oder ist es ein Privileg, wenn er fremdbestimmt und entmündigt unter der Staatsknute einen streng vorgeschrieben Weg beschreitet, der Sicherheit signalisiert, doch Unfreiheit und Ungerechtigkeit transportiert? Für die allein erziehende Lea H. ist der Fall eindeutig. "Neoliberalismus ist das Fehlen von starken Schultern und damit einer der Gründe für die niedrigen Geburtenraten", doziert sie. Wer jetzt noch rätselt, was sie denn meinen könnte, dem helfen auch die Worte von Jens P. nicht zwingend weiter. Für ihn ist Neoliberalismus, "wenn nur Junge, Weltgewandte, Gebildete, profitieren können und die anderen in die Röhre schauen".

Fragt man den kapitalistischen Propagandisten, linken Intellektuellen oder gar Neomarxisten ist die Antwort zunächst stockend, später wirr und schließlich eine in mächtige Worte gefasste Abhandlung über Halbweisheiten und Unwahrheiten. Einem Gemisch aus düsteren ökonomischen Orakeln und vermeintlichen Abkehrwendungen einer sozialen Sicherung. Einer, der es genau zu wissen glaubt, ist Oskar Lafontaine. Für ihn ist der Neoliberalismus der Hauptgegner schlechthin. Doch gibt er sich keinesfalls mit einer theoretischen und ausführenden Kritik an dieser ökonomischen Glaubensrichtung ab. Ihm reicht es, die Auswirkungen der "neoliberalen" Politik exakt zu benennen: "Die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer, dem Staat wird durch Steuersenkungen seine Handlungsfähigkeit genommen und gespart wird einseitig bei den sozial Schwächeren", konkretisiert er die Wortschöpfung.

Die Talkrunden-Journalisten fragt man besser nicht. Für sie ist "Neoliberalismus" nur eine populistische Headline einer möglichst heftigen Diskussion. Einer Debatte über etwas, was es so gar nicht gibt. Allen Antworten gemeinsam ist der Irrglaube, es gebe den speziellen "Neoliberalismus".

"Neo-" kommt aus dem Griechischen und steht für Erneuerung und Wiederkehr. So kann man dann von "Neo-" sprechen, wenn sich Richtungen und Ideologien durchsetzen, später verschwinden, irgendwann wieder auftauchen und/oder sich vermeintlich erneuert haben. Man spricht in der Kunst von Neo-Renaissance oder Neo-Gotik und in Politik und Geschichte von Neonazis und Neokommunisten, denn sie wurden, wie alle epochalen Erscheinungen die schon in der Geschichte schlummerten, zu neuem Leben erweckt. Aber "Neoliberalismus"? [...]

Ursula Pidun

DE, Berlin

Gelernte Journalistin

Publikationen: 4

Aufrufe seit 06/2008: 2185
Aufrufe letzte 30 Tage: 2