Der quadrophone Mensch
Der quadrophone Mensch

Der quadrophone Mensch

Vortrag, Deutsch, 3 Seiten, Dr. Volker Halstenberg

Herausgeber / Co-Autor: Volker Halstenberg

Erscheinungsdatum: 2009

Quelle: Volker Halstenberg


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Der quadrophone Mensch

Der Neurowissenschaftler und Medizin-Nobelpreisträger Eric Kandel und der Neurobiologe Gerhard Roth betrachten die Freud’sche Psychoanalyse als das schlüssigste Modell des menschlichen Geistes.
www.4managers.de/management/themen/neuropsychoanalyse-und-marketing/

Umso verwunderlicher, dass wirtschaftswissenschaftliche Disziplinen immer noch von der hanebüchenen Fiktion eines durch und durch rational handelnden >homo oeconomicus< ausgehen.

Mir ist, als wohnten ach! vier Seelen in meiner Brust Der Mensch ist alles andere als ein rational handelndes Wesen. Er ist ein >homo quadri-fidus<: er hat vier Seelen (neurokybernetisch würde man von funktionalen Subsystemen sprechen) in seiner Brust, die oft im Clinch miteinander liegen, innere Kämpfe austragen, weil jede Seele (jedes Subsystem) eigene Wertvorstellungen hat, nach eigenen Gesetzmäßigkeiten operiert und eigene Ziele verfolgt.

Freud nannte diese vier psychischen Subsysteme ES, ICH, ÜBER-ICH und ICH-IDEAL.

ES ist die Sphäre des Unbewussten, der archaischen Verhaltens-Erbschaft unseres Stammhirns, der Leidenschaften und Lebenstriebe, aber auch der aggressiven und destruktiven Impulse, die wir normalerweise hinter Schloss und Riegel zu halten, zu verdrängen und zu unterdrücken versuchen.

ICH ist der pseudo-rationale Steuermann (Kybernetes), der uns tagein tagaus durch die Welt dirigiert, stets abwägend zwischen inneren Notwendigkeiten und externen Möglichkeiten.

ÜBER-ICH ist das Gewissen, der innere Richter und Zuchtmeister, der über die Zulässigkeit von Gedanken, Aussagen, Handlungen, Erlebnissen bestimmt. Über-ICH traktiert uns bevorzugt mit Schuldgefühlen und Ähnlichem, wenn wir seine ethisch-moralischen Ansprüche nicht erfüllen.

ICH-IDEAL ist der Ästhetiker, der Narzisst, der Perfektionist in uns allen. In unserem ICH-IDEAL erleben wir allerlei Omnipotenz- und Vollkommenheits-Visionen, die unsere innigsten Wünsche (auch Produktwünsche) erfüllen.

Sind wir nicht alle „strukturdeterminierte Misch-Maschinen“, deren Erleben und Verhalten auf einer quadrophonen Mischkalkulation mit individuell gewichteten ICH-, ES-, ÜBER-ICH- und ICH-IDEAL-Anteilen basiert?

Erleben und Verhalten ist zum Teil auf Umwelteinflüsse, zum Teil auf Trieb-umsetzungen, zum Teil auf Abwehrreaktionen gegenüber Trieb-Impulsen, zum Teil auf Selbstbestrafungs-Tendenzen und zum Teil auf narzisstische Selbstverwirklichungs-Ansprüche zurückzuführen. Wobei Letztere – ohne gleich ein Zeitalter des Narzissmus ausrufen zu wollen – in nicht wenigen Köpfen die erste Geige spielen.

Wer möchte, kann sich die vier interagierenden Systeme als leibhaftige Diskussions-runde vorstellen, in der ein bodenständiger Manager (ICH), ein strenger Moralapostel (ÜBER-ICH/Gewissen), ein vollkommenheitsverliebter Narzisst (ICH-IDEAL) und ein hedonistischer Naturbursche (ES) mal mehr, mal weniger hitzig um die Führungsrolle ringen.

Schauen wir beispielsweise mal, inwiefern das psychoanalytische Persönlichkeitsmodell davor bewahren kann, bei M&A-Aktivitäten übers Ziel hinauszuschießen.

Der Preis wird schnell heiß
Kaufhungrige Manager sollten sich davor hüten, die Preisverhandlungen ihrem ES – sprich unbewussten Leidenschaften – und/oder Ihrem ICH-IDEAL – also schlummernden Omnipotenzfantasien – zu überlassen. Das kann schneller passieren als man meint. Nichts bringt den Testosteron*-befeuerten Jagdinstinkt mehr in Wallung als einem fremden Unternehmen nachzugieren und es in Besitz zu nehmen, vor allem dann, wenn noch der eine oder andere Rivale im Spiel ist. Da werden voreilig utopische Kaufsummen in die Waagschale geworfen, die den aktuellen Nettokapital- und Börsenwert des begehrten Akquiseobjektes um Größenordnungen übersteigen, die mit dem zukünftigen Synergiewert, verstanden als Nettokapitalwert zukünftiger Cashflows nach erfolgter Akquisition, nicht mehr vereinbar sind. Dagegen hilft nur eins: Der Realo Kybernetes und der Zuchtmeister ÜBER-ICH müssen während der gesamten Kaufverhandlungen die Zügel in der Hand behalten, so dass den untergründigen ES- und ICH-IDEAL-Impulsen keine Chance bleibt. Konkret:
Von Anfang an einen Höchstpreis für das objet du désir festlegen und keinen Deut darüberhinaus gehen. Egal wie brillant und vielversprechend die Argumente und wie bombastisch der Informations-Showdown der Gegenseite.


Anderes Beispiel Dass eine konsequent am quadrophonen Menschenbild ausgerichtete Marken- und Unternehmensführung eo ipso davor bewahrt, Kinder aus Entwicklungsländern als billige Arbeitskräfte auszubeuten, in der Werbung >Bio< zu posaunen, wenn >Chemie< drin ist, oder andere ethisch-moralische Verfehlungen zu begehen, muss im Angesicht des omnipräsenten und omnipotenten Zuchtmeister- (ÜBER-ICH-) Korrektivs von Kunden und anderen Stakeholdern kaum erwähnt werden.

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* Das Sexualhormon Testosteron fördert übrigens auch die Risikofreude von Wertpapierhändlern, wie der Neurowissenschaftler John Coates von der Universität Cambridge festgestellt hat. Vereinfacht: Hoher Testosteronspiegel = große Risikobereitschaft = hohe Gewinne = große Erfolgserlebnisse. Erfolgserlebnisse „kurbeln“ ihrerseits die Testosteron-Produktion an. Dieser zirkuläre Aufschaukelungsprozess kann einerseits zu „Gewinnsträhnen“ führen; andererseits wird man schnell übermütig, sieht die Gefahren nicht mehr, trifft irrationale, also ES- und/oder ICH-IDEAL-ige Entscheidungen, die allseits bekannte „Blase“ entsteht, und irgendwann „knallt’s“. Die aktuelle Finanzkrise dokumentiert's ebenso wie das Zocker-Spiel von Porsche mit VW.
Geht’s bergab, übernimmt der steroide Gegenspieler des Testosteron, das Stresshormon Cortisol, die hormonelle Führung, drosselt die Risikofreude, bricht die Entscheidungskraft (Schreckstarre, Abwarten), was wiederum die Baisse beschleunigt.
Man kann Coates nur beipflichten, wenn er fordert, dass das Management in den Handelssälen (und nicht nur dort) über die Auswirkungen von Steroiden aufgeklärt werden sollte. (Steroid, griechisch: das Feste, Starre)

dazu www.neuroscience.cam.ac.uk/

Stattdessen wiederholt sich die Geschichte. Nach der Krise ist vor der Krise. Gordon Gekko reloaded. „Gier ist gut, Gier ist richtig. Gier funktioniert.“ Der neue „Ballon“ wird an den Finanzmetropolen der Welt mit dem billigen Geld der letzten Krisenbewältigung schon wieder kräftig aufgeblasen. Kurz aufgeschreckt, Derivate-Namen umgeschrieben (CDOs heißen jetzt Remics* à la Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix.) und wieder wird in die Hände gespuckt, wir steigern das Spekulationsprodukt. Die Rating-Experten nicken. Alles wird gut!

*CDOs = Collateralized Debt Obligations, Remics = Resecuritization of Real-Estate Mortgage Investment Conduit.

Gordon Gekkos "Greed is Good"-Rede gibt's auch bei Youtube zu sehen.

www.youtube.com/watch

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