Die Reform des Vergaberechts
Die Reform des Vergaberechts

Die Reform des Vergaberechts

Das Ende der sogenannten "Ahlhorn"-Rechtsprechung?

Beitrag, Deutsch, 2 Seiten, F.A.Z.-Institut für Management-, Markt- und Medieninformationen GmbH

Autoren: Mario Leißner, Dr. Sven Wortberg

Erscheinungsdatum: 13.09.2009

Quelle: Deutscher AnwaltSpiegel, Ausgabe 11

Seitenangabe: 16-17


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Im Jahr 2007 wurde der Ankauf von in staatlichem Eigentum stehenden Grundstücken mit damit einhergehender Bauverpflichtung für Grundstücksinvestoren zum Problem. Was war passiert? Das OLG Düsseldorf hatte in einem Beschluss ("Fliegerhorst Ahlhorn") im Anschluss an eine Entscheidung des EuGH ("Stadt Roanne") sinngemäß festgestellt, dass die Aufnahme einer Bauverpflichtung in einen Grundstückskaufvertrag bei Erreichen des relevanten Schwellenwerts von 5,15 Millionen Euro zur Anwendbarkeit des Vergaberechts und damit grundsätzlich zu der Pflicht führe, ein europaweites Vergabeverfahren durchzuführen. Gleiches gelte bei Begründung der Bauverpflichtung außerhalb des Kaufvertrags, etwa im Rahmen eines städtebaulichen Vertrags.

Folgen der "Ahlhorn"-Rechtsprechung
In der Folge entwickelte sich in der immobilien- und vergaberechtlichen Literatur eine intensive Diskussion insbesondere darüber, welche Konsequenzen die Nichtdurchführung der erforderlichen Ausschreibung für den Grundstückskäufer habe. Diskutiert wurden u.a. ein Verstoß gegen § 13 Satz 6 VgV a.F. analog sowie eine Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB, jeweils mit der Folge der Nichtigkeit des Kaufvertrags sowie möglicherweise zusätzlich des dinglichen Verfügungsgeschäfts. Insbesondere letztere Rechtsfolge wäre für den Käufer nachteilig, da er trotz Eintragung im Grundbuch nicht Eigentümer werden und sich dementsprechend Herausgabe- oder Grundbuchberichtigungsansprüchen der öffentlichen Hand gegenübersehen würde, welche erst nach 30 Jahren bzw. im Fall der Grundbuchberichtigung gar nicht verjähren. Im Fall der Nichtigkeit auch des Verfügungsgeschäfts stellt sich bei einer anschließenden Weiterveräußerung durch den Käufer die Frage, ob ein Dritter gutgläubig das Grundstück vom Nichteigentümer erwerben kann. Höchstrichterliche Entscheidungen sind zu diesen Themenkomplexen bis dato nicht ergangen. Aufgrund der eingetretenen Rechtsunsicherheit wurde in der Folge eine Vielzahl geplanter Grundstücksveräußerungen durch die öffentliche Hand zunächst auf unbestimmte Zeit verschoben.

Die Reform des Vergaberechts
Der deutsche Gesetzgeber hat nunmehr reagiert. Im Rahmen der Reform des Vergaberechts wurde unter anderem § 99 Abs. 3 GWB neu gefasst. Danach liegen (ausschreibungspflichtige) "Bauaufträge" im Fall der Ausführung durch Dritte lediglich dann vor, wenn die Bauleistung dem Auftraggeber "unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt". Allein die Verwirklichung einer angestrebten städtebaulichen Entwicklung soll ausweislich der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht ausreichen, um eine Ausschreibungspflicht zu begründen. Durch diese Änderung wären in der Tat an sich die meisten der problematischen Fälle in dem Sinne gelöst, dass keine Ausschreibung zu erfolgen hat. Im Fall der Veräußerung des Grundstücks an einen Dritten wird die öffentliche Hand nämlich in der Regel keine unmittelbaren Vorteile aus der Baumaßnahme mehr ziehen. Schon jetzt ist allerdings abzusehen, dass mit der Neufassung des § 99 Abs. 3 GWB das letzte Wort hinsichtlich der Ausschreibungspflicht noch nicht gesprochen ist. Denn der Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie), der öffentliche Bauaufträge definiert, enthält die vorgenannte Einschränkung nicht. Dementsprechend mehren sich die Stimmen in der Literatur, die argumentieren, dass die Neufassung eine unzulässige Einschränkung des Anwendungsbereichs des EU-Vergaberechts sei.

Vorteile für Grundstücksinvestoren
Die Frage, ob der neue § 99 Abs. 3 GWB einer europarechtlichen Überprüfung standhält, muss als völlig offen bezeichnet werden und wird hier nicht weiter verfolgt. Festzuhalten ist aber, dass jedenfalls bis zu einer Entscheidung des EuGH über diese Frage hinsichtlich eines ohne Ausschreibung durchgeführten Grundstücksverkaufs mit Bauverpflichtung die Rechtsunsicherheit für Grundstücksinvestoren abgenommen hat. Einen Verstoß gegen die guten Sitten gemäß § 138 BGB durch wissentliche Umgehung des Vergaberechts durch beide Vertragsparteien wird man nunmehr nicht annehmen können, soweit der Verkäufer durch die Ausführung der Bauverpflichtung keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil erlangt und folglich das nationale Recht den entsprechenden Grundstückskauf ausdrücklich von der Ausschreibungspflicht ausnimmt.

Etwas anders verhält es sich mit § 13 Satz 6 VgV a.F., der nach der Reform nunmehr nahezu inhaltsgleich in § 101a Abs. 1 GWB enthalten ist. Danach hat der Auftraggeber einen Bieter, dessen Angebot nicht berücksichtigt werden soll, über den Grund der Nichtberücksichtigung und über den Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem erfolgreichen Bieter zu informieren. Bei einer vergaberechtswidrig nicht durchgeführten Ausschreibung ist die Vorschrift laut noch zu § 13 Satz 6 VgV a.F. ergangenen Gerichtsentscheidungen jedoch insoweit analog anwendbar, als solche "Bieter" entsprechend informiert werden müssen, die an dem zu vergebenden Auftrag gegenüber dem Auftraggeber Interesse bekundet haben. Hieran hat sich durch die Vergaberechtsreform nichts geändert. Denn sofern der den "Bauauftrag" definierende § 93 Abs. 3 GWB europarechtswidrig sein sollte, entfaltet die entsprechende Bestimmung der Vergabekoordinierungsrichtlinie insoweit objektiv unmittelbare Wirkung, als trotz entgegenstehenden nationalen Rechts eine Pflicht zur Ausschreibung besteht. Allerdings haben es die Kaufvertragsparteien hier in der Hand, eine Nichtigkeit des Grund- oder Verfügungsgeschäfts durch entsprechende Verfahrensgestaltung zu verhindern. Der Verkäufer sollte im Idealfall die Verkaufsgespräche lediglich mit einem potentiellen Käufer führen und mit diesem auch zum Abschluss kommen, um keine Mitteilungspflichten gegenüber leer ausgehenden Interessenten zu begründen. Soweit dies nicht durchführbar ist, sollte der Verkäufer aus Sicht des Käufers die übrigen Interessenten entsprechend § 101a Abs. 1 GWB informieren, und die Beurkundung des Kaufvertrags sollte erst nach ergebnislosem Ablauf der Frist für die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB durchgeführt werden. In dem Kaufvertrag sollte sich der Käufer – soweit aufgrund seiner Verhandlungsposition durchsetzbar – die Einhaltung des vorgenannten Prozederes schadenersatzbewehrt vom Verkäufer zusichern lassen.
Liegen dementsprechend keine Verstöße gegen das GWB oder gegen die guten Sitten vor, erwirbt der Käufer das Eigentum an dem durch die öffentliche Hand verkauften Grundstück mit Umschreibung und ohne Gefahr zu laufen, später Herausgabeansprüchen ausgesetzt zu sein. Damit bleibt das Grundstück auch im Folgenden handelbar, da ein späterer Käufer sich nicht auf einen gutgläubigen Rechtserwerb nach § 892 BGB mit den damit einhergehenden Unwägbarkeiten verlassen muss.

Fazit
Obwohl derzeit die Frage nicht eindeutig beantwortet werden kann, ob sich die Reform des Vergaberechts hinsichtlich der sogenannten "Ahlhorn"-Rechtsprechung als europarechtskonform erweisen wird, hat sich die Situation für Grundstücksinvestoren insoweit verbessert, als bei entsprechender Gestaltung des Verkaufsprozesses die Nichtigkeit des Kaufvertrags sowie des Verfügungsgeschäfts nicht mehr befürchtet werden muss. Dass dieses Zeitfenster für rechtssichere Erwerbe ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens lange geöffnet bleibt, ist keineswegs ausgemacht. Denn bereits im Jahr 2008 hat das OLG Düsseldorf noch unter der Geltung des alten Vergaberechts dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vorgelegt, ob es Voraussetzung für das Vorliegen eines öffentlichen Bauauftrags gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. b) Vergabekoordinierungsrichtlinie sei, dass die Bauleistung dem öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt. Eine Entscheidung des EuGH steht bislang noch aus.

Mario Leißner

DE, Frankfurt am Main

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