Fachanwalt für Arbeitsrecht Robert Mudter zur Sozialauswahl bei Kündigungen
Fachanwalt für Arbeitsrecht Robert Mudter zur Sozialauswahl bei Kündigungen

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Kündigung und Altersdiskriminierung

Pressemitteilung, Deutsch, Eine Seite

Erscheinungsdatum: 25.11.2008


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Kündigungsschutz und Altersdiskriminierung – Neues zur Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 06.11.2008, 2 AZR 701/07

Warum eine Sozialauswahl?
Sollen aus betriebsbedingten Gründen Arbeitsplätze abgebaut werden, sind von einer solchen Entscheidung meist nicht nur die Arbeitnehmer betroffen, die auf den abzubauenden Arbeitsplätzen arbeiten, sondern auch solche, die der Arbeitgeber aufgrund seines Weisungsrechts auf die zu streichenden Stellen umsetzen könnte.

Gibt es daher mehr „Kündigungskandidaten“ als zu streichende Stellen, verpflichtet das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) den Arbeitgeber dazu, bei der Auswahl der aus betriebsbedingten Gründen zu kündigenden Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen, d.h. eine Sozialauswahl vorzunehmen (§ 1 Abs.3 KSchG). Die Sozialauswahl führt dazu, dass Arbeitnehmer vor betriebsbedingten Kündigungen um so besser geschützt sind, je länger ihr Arbeitsverhältnis bestand und je älter sie sind. Auch Unterhaltspflichten und eine ggf. bestehende Schwerbehinderung verbessern diesen Schutz. Das Prinzip der Sozialauswahl ist aber nicht ohne Ausnahmen durchzuführen. In die soziale Auswahl sind nämlich diejenigen Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder auch „zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes“ im berechtigten betrieblichen Interesse liegt (§ 1 Abs.3 Satz 2 KSchG).

Unter Berufung auf diese Ausnahmevorschrift bilden Arbeitgeber oftmals Altersgruppen (z.B.: Arbeitnehmer von 30 bis 40 Jahren, von 41 bis 50 Jahren etc) und nehmen die Sozialauswahl nur innerhalb dieser Altersgruppen vor. Dadurch wird bei betriebsbedingten Kündigungswellen verhindert, dass aufgrund der Sozialauswahl das Durchschnittsalter der verbleibenden Belegschaft höher ist als es vorher war. Lebensalter und Beschäftigungsdauer werden daher zwar beachtet, aber nur innerhalb der jeweiligen Altersgruppen. Denn wer zum Beispiel 51 Jahre alt ist, kann im Rahmen der Sozialauswahl innerhalb der Altersgruppe der 51- bis 60jährigen „durchfallen“, obwohl er im Vergleich mit einem Kündigungskandidaten der Altersgruppe der 31- bis 40jährigen schutzbedürftiger wäre und daher bei einer Sozialauswahl ohne Altersgruppen sein Arbeitsverhältnis gerettet hätte.

Auf der Grundlage des am 18.08.2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ist allerdings zweifelhaft geworden, ob die Bildung von Altersgruppen bei der Sozialauswahl wie bisher rechtlich zulässig ist oder aber eine nach dem AGG verbotene Diskriminierung wegen des Alters darstellt. Hier meinen einige Arbeitsrechtler, dass die Bildung von Altersgruppen ältere Arbeitnehmer benachteiligt und daher als Altersdiskriminierung durch das AGG verboten sei. Die Gegenmeinung besagt, dass gerade das Prinzip der Sozialauswahl bzw. die diesem entsprechende Besserstellung älterer Arbeitnehmer bei betriebsbedingten Kündigungen diskriminierend sei, nämlich eine Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer darstelle. Fraglich ist bei alledem auch, ob das AGG und seine Benachteiligungsverbote auf Kündigungen überhaupt anzuwenden sind, da dies nach dem Gesetzeswortlaut (§ 2 Abs.4 AGG) eigentlich ausgeschlossen ist (siehe hierzu Arbeitsrecht aktuell: 06/20 AGG und Kündigungsschutz).

Zu diesen seit längerem kontrovers diskutierten Fragen hat nunmehr das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 06.11.2008 (2 AZR 701/07) Stellung genommen.
Welcher Sachverhalt lag dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zugrunde?
Der Karosseriebauer Karmann in Osnabrück war Ende 2006 aus betriebsbedingten Gründen zur Entlassung von 619 Arbeitnehmern gezwungen. Dazu vereinbarte er mit dem Betriebsrat einen Sozialplan und Interessenausgleich mit Namensliste, d.h. die zu kündigenden Arbeitnehmer wurden im Rahmen der Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich benannt. Zum Zwecke der Ermittlung der zu kündigenden Arbeitnehmer wurden Altersgruppen gebildet, die jeweils zehn Jahrgänge erfassten, nämlich die bis 25jährigen, die bis 35jährigen, die bis 45jährigen, die bis 55jährigen und die über 55jährigen.

Im Effekt erhielten daher Arbeitnehmer der Altersgruppe der 46- bis 55jährigen eine Kündigung, obwohl sie im Vergleich mit Arbeitnehmern der Altersgruppe der 36- bis 45jährigen oder mit Arbeitnehmern der Altersgruppe der 26- bis 35jährigen sozial stärker schutzbedürftig waren: Ein solcher altersgruppenübergreifender Vergleich von „Kündigungskandidaten“ wurde bewusst verhindert und die vor der Kündigungswelle vorhandene Altersstruktur der Belegschaft auf diesem Wege aufrechterhalten.

Viele aufgrund dieser Kündigungswelle gekündigten Arbeitnehmer erhoben Klage, wobei sie in der ersten Instanz vor dem Arbeitsgericht Osnabrück im Februar 2007 obsiegten (wir berichteten darüber in Arbeitsrecht aktuell: 07/15 Arbeitsgericht Osnabrück: AGG gilt bei Kündigungen.). Das in der zweiten Instanz für diese Prozesse zuständige Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen entschied dagegen für Karmann, d.h. es wies die Klagen im Juli 2007 ab und lies die Revision zum BAG zu (wir berichteten darüber in Arbeitsrecht aktuell: 07/48 Landesarbeitsgericht Niedersachsen vs. Arbeitsgericht Osnabrück).

Das LAG war der Meinung, der im vorliegende Fall vereinbarte Interessenausgleich verstoße nicht gegen das AGG und auch nicht gegen europarechtliche Diskriminierungsverbote. Dabei hielt das LAG die Diskriminierungsverbote des AGG - trotz § 2 Abs.4 AGG - im Rahmen des KSchG für anwendbar. Es war aber weiterhin der Ansicht, die Begrenzung der Sozialauswahl zum Zwecke einer „ausgewogenen Altersstruktur“ (§ 1 Abs.3 Satz 2 KschG) entspreche den von § 10 AGG zugelassenen Ausnahmen vom Verbot der Benachteiligung wegen des Alters, da andernfalls eine langfristige Nachwuchsplanung nicht möglich sei.
Wie hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?
Das BAG hat die zugunsten von Karmann ergangenen Berufungsurteile bestätigt, d.h. gegen die klagenden Arbeitnehmer entschieden. In der bislang allein vorliegenden Pressemeldung heißt es hierzu:

Die Diskriminierungsverbote des AGG fänden auch im Rahmen des Kündigungsschutzes nach dem KSchG Anwendung. Daher könne eine diskriminierende Kündigung sozialwidrig und daher gemäß § 1 KSchG unwirksam sein. Ebensowenig wie das Verbot der Altersdiskriminierung (§§ 1, 10 AGG) einer Berücksichtigung des Lebensalters im Rahmen der Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG) entgegenstehe, verbiete es aber auch die Begrenzung der Bedeutung des Lebensalters in Gestalt der Bildung von Altersgruppen (§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG). Auch die Altersgruppenbildung bei der Sozialauswahl ist daher nach dem AGG zulässig.

In der Zuteilung von Sozialpunkten nach dem Lebensalter und in der Altersgruppenbildung liege zwar eine an das Alter anknüpfende unterschiedliche Behandlung. Diese sei aber gemäß § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt. Die Zuteilung von Alterspunkten führe, so heißt es in der Pressemeldung wörtlich, „mit einer hinnehmbaren Unschärfe zur Berücksichtigung von Chancen auf dem Arbeitsmarkt und im Zusammenspiel mit den übrigen sozialen Gesichtspunkten (Betriebszugehörigkeit, Unterhalt, Schwerbehinderung) nicht zu einer Überbewertung des Lebensalters“. Die Bildung von Altersgruppen wirke der Überalterung des Betriebs entgegen und relativiere damit zugleich die Bevorzugung älterer Arbeitnehmer.

Was dies genau heißen soll, wird man wohl erst der derzeit noch nicht vorliegenden schriftlichen Urteilsbegründung entnehmen können. Die Überlegung, dass die Altersgruppenbildung die Bevorzugung älterer Arbeitnehmer bei der Sozialauswahl begrenze, weist in die Richtung, dass unter dem Aspekt des Verbots der Altersdiskriminierung weniger die Altersgruppenbildung (d.h. die Ausnahme) als vielmehr die Bevorzugung älterer Arbeitnehmer bei der Sozialauswahl als solcher (d.h. die rechtliche Regel) begründungsbedürftig ist.

Fazit: In Zukunft könnte weniger eine Sozialauswahl mit Altersgruppenbildung als vielmehr eine Sozialauswahl ohne Altersgruppenbildung rechtlich angegriffen werden, und zwar von jüngeren Arbeitnehmern. Soweit der Pressemeldung des BAG entnommen werden kann, möchte das BAG aber wohl genau dies verhindern, d.h. es steht wohl auf dem Standpunkt, dass sowohl die stärkere Bevorzugung älterer Arbeitnehmer bei einer Sozialauswahl ohne Altersgruppenbildung als auch die Altersgruppenbildung keine verbotene Altersdiskriminierung sei.

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