Kirchenaustritt als Kündigungsgrund
Kirchenaustritt als Kündigungsgrund

Kirchenaustritt als Kündigungsgrund

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Herausgeber / Co-Autor: Robert C. Mudter

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Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mainz (Urteil vom 02.07.2008, Az. 7 Sa 250/08) hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein Kirchenaustritt als Kündigungsgrund anzuerkennen ist.

Zusammengefasst: Das LAG Mainz kommt zu dem Schluß, dass der Kirchenaustritt eines Arbeitnehmers kann nach dem Selbstverständnis des kirchlichen Arbeitgebers eine - zur Kündigung berechtigende - schwerwiegende Pflichtverletzung darstellen, für die das sich aus dem AGG ergebende Verbot unterschiedlicher Behandlung nicht gilt.

Die Daten des Falles:

Die 1962 geborene, verheiratete Klägerin, die drei Kinder hat, war bei der Beklagten, die ein Alten- und Pflegeheim in C-Stadt betreibt, seit dem 01.12.2001 als Mitarbeiterin in der Pflege beschäftigt. Bei der Beklagten handelt es sich um einen Rechtsträger der Kirche, der dem Bischöflichen Stuhl unmittelbar unterstellt und dem Deutschen Caritasverband angeschlossen ist. Die Parteien haben die einzelnen Arbeitsbedingungen in einem schriftlichen Arbeitsvertrag geregelt.
Am 26.09.2007 erklärte die Klägerin beim Standesamt ihren Austritt aus der Kirche und teilte dies der Beklagten am 27.09.2007 mit. Die Beklagte kündigte daraufhin das Beschäftigungsverhältnis mit Schreiben vom 09.10.2007 fristlos.
Gegen die ordentliche Kündigung hat die Klägerin fristwahrend Kündigungsschutzklage eingereicht.
Sodann hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, es sei von einer sozialen Rechtfertigung der streitgegenständlichen Kündigung unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes auszugehen. Die Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes gewährleiste, dass die Kirchen bei einer arbeitsvertraglichen Gestaltung des kirchlichen Dienstes das Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft zugrunde legen und die Verbindlichkeit kirchlicher Grundpflichten bestimmten könnten. Ein Austritt aus der Kirche sei grundsätzlich als Trennung von der Kirche als Glaubensgemeinschaft zu werten und berühre eine wesentliche Voraussetzung des Dienstverhältnisses. Deshalb könne nach Art. 5 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22.09.1993 (im Folgenden: Grundordnung) der Dienstgeber das Dienstverhältnis kündigen, weil auf Grund der Verletzung der Loyalitätspflicht dem Dienstgeber eine Weiterbeschäftigung nicht zugemutet werden könne. Zu beachten sei allerdings, dass dann, wenn sich der Arbeitgeber selbst gebunden habe, bei bestimmten Verhaltensverstößen vor Ausspruch der Kündigung zunächst mit dem Arbeitnehmer ein klärendes Gespräch geführt werden müsse. Art. 5 Grundordnung enthalte eine solche bindende Verfahrensnorm. Im vorliegenden Fall habe die Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichtes aber ergeben, dass der Heimleiter vor Ausspruch der ersten Kündigung, welche in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der zweiten Kündigung zu sehen sei, klärende Gespräche versucht habe.

Der rechtliche Weg des LAG Mainz:

Das LAG Mainz bestätigte das Urteil mit folgender Argumentation:
Ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund kann sich auch daraus ergeben, dass ein Arbeitnehmer, der in einer Einrichtung der Kirche tätig ist, auf welche die Grundordnung Anwendung findet, aus der Kirche austritt. Art. 5 Abs. 5 Grundordnung regelt nämlich, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aus der Kirche austreten, nicht weiterbeschäftigt werden können.
Bei der Grundordnung handelt es sich um ein allgemeines Kirchengesetz, das in § 2 Abs. 2 seinen Geltungsbereich dahingehend definiert, dass es auch anzuwenden ist im Bereich der sonstigen kirchlichen Rechtsträger und ihrer Einrichtungen, unbeschadet ihrer Rechtsform sowie des Verbandes der Diözesen Deutschlands und des Deutschen Caritasverbandes. Die vorgenannten Rechtsträger sind gehalten, die Grundordnung für ihren Bereich rechtsverbindlich zu übernehmen.
Die Beklagte ist ein Rechtsträger des Bischöflichen Stuhles. Dieser hat die Grundordnung für seinen Bereich zum 01.01.1994 rechtsverbindlich in Kraft gesetzt. Mithin gilt die Grundordnung auch für die Arbeitsverhältnisse, welche die Beklagte eingeht, einschließlich jenes mit der Klägerin.
Unabhängig hiervon ist die Regelung der Grundordnung auch auf Grund der arbeitsvertraglichen Verweisung auf die Geltung allgemeiner Kirchengesetze in § 2 des Dienstvertrages vom 03.12.2001 i. V. m. § 4 Abs. 2 AVR auf das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin anwendbar.
Die Anwendung von Art. 5 Abs. 5 Grundordnung verletzt nicht das Grundrecht der Klägerin auf Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG).
Mit dem Grundrecht der Klägerin auf Glaubensfreiheit - hierzu gehört auch die Freiheit aus der Kirche auszutreten - tritt im gegebenen Fall die Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV) in Widerstreit. Entscheidend bei der daher vorzunehmenden Güterabwägung, in dessen Rahmen sich beide Verfassungsrechte gegenüberstehen, ist nach Überzeugung der Berufungskammer, dass die Klägerin bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses sich der Rechtsfolgen bewusst sein musste, die ein Kirchenaustritt nach Art. 5 Abs. 5 Grundordnung nach sich zieht. Durch die Aufnahme der Arbeit bei der Beklagten im Jahr 2001 hat sie diese bei der Beklagten schon seit 1994 geltende Arbeitsbedingung akzeptiert und deren Rechtsfolge aus freien Stücken in Kauf genommen. Mithin war sie es, die den entscheidenden Schritt in den Geltungsbereich von Art. 5 Abs. 5 Grundordnung unternommen hat; sie muss dementsprechend auch die durch ihren Kirchenaustritt im Zusammenhang mit dieser Vorschrift verbundene Einschränkung ihres Grundrechtes auf Religionsfreiheit hinnehmen.

§ 9 Abs. 1 AGG steht der Anwendung von Art. 5 Abs. 5 Grundordnung auf den vorliegenden Fall ebenfalls nicht entgegen. Nach dieser gesetzlichen Regelung ist ungeachtet des § 8 AGG eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, auch zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.
Im vorliegenden Fall wird nicht um die in § 9 Abs. 1 AGG geregelte Frage gestritten, ob eine bestimmte Religion eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt, sondern darum, ob ein Kirchenaustritt - also die Beendigung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft - die Beklagte zur Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses berechtigt. Dementsprechend ist allein die Regelung unter § 9 Abs. 2 AGG hier einschlägig. Hiernach berührt das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung nicht das Recht der in Abs. 1 genannten Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können.
Nach dem Selbstverständnis der Kirche gehört zu einem loyalen Verhalten einer bei ihr beschäftigten Arbeitnehmerin oder eines bei ihr beschäftigten Arbeitnehmers, dass sie oder er während des Arbeitsverhältnisses nicht aus der Kirche austritt. Der Kirchenaustritt gehört nach Kirchenrecht (Codex juris canonicus = CIC can. 2314) nämlich zu den schwersten Vergehen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche. Die Kirche betrachtet den Ausgetretenen als Abtrünnigen und dem Kirchenbann verfallen (CIC can. 2314 § 1 n. 1). Der Kirchenaustritt verträgt sich aus Sicht der Kirche weder mit ihrer Glaubwürdigkeit noch mit der von ihr geforderten vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.06.1985 - BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84 = AP Nr. 24 zu Art. 140 GG).
Hieraus folgt im gegebenen Fall, dass der Kirchenaustritt der Klägerin nach dem Selbstverständnis der Kirche eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellt, für welche das Verbot unterschiedlicher Behandlung gem. § 9 Abs. 2 AGG nicht gilt.
Eine einschränkende Auslegung des § 9 Abs. 2 AGG ist auch im Hinblick auf die Richtlinie 2000/78/EG des Rates der EU vom 27.11.2000 (im Folgenden: EG-Richtlinie) nicht geboten. Nach Art. 4 Abs. 2 letzter Satz der EG-Richtlinie können - sofern die Bestimmungen dieser Richtlinie im Übrigen eingehalten werden - die Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, im Einklang mit den einzelstaatlichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Rechtsvorschriften von den für sie arbeitenden Personen verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos der Organisation verhalten. Infolgedessen konnte die Beklagte von der Klägerin, angesichts des oben dargelegten Selbstverständnisses der Kirche, verlangen, dass diese während des Dienstverhältnisses nicht aus der Kirche austritt.
Bei der gemäß § 1 Abs. 1 KSchG durchzuführenden Interessenabwägung überwiegt das Beendigungsinteresse der Beklagten. Das Fortsetzungsinteresse der Klägerin wird durch folgende Umstände bestimmt: Als 45-jährige Arbeitnehmerin ist es für sie, trotz der im Pflegebereich bestehenden Nachfrage nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sicher kein Leichtes, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Ihre Arbeitstätigkeit als Altenpflegerin übte die Klägerin während der sechsjährigen Beschäftigungszeit unbeanstandet aus. Sie ist gegenüber ihrem Ehemann und den drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Des Weiteren führt sie als Altenpflegerin keinerlei pastorale, katechetische oder leitende Diensttätigkeiten aus. Ihr Kirchenaustritt wurde nach ihren Angaben während der mündlichen Berufungsverhandlung im Wesentlichen durch die aus ihrer Sicht gegebene Unterdrückung der Frau durch die katholische Kirche motiviert.
Das Beendigungsinteresse der Beklagten wird geprägt durch den Vertrauensbruch der mit einem Kirchenaustritt nach dem Selbstverständnis der katholischen Kirche verbunden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.06.1985, a.a.O.) muss diesem Gesichtspunkt das von der Verfassung geforderte Gewicht beigemessen werden. Konkret bedeutet dies in dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall: Nicht hinreichend berücksichtigt ist das Beendigungsinteresse der Kirche im Wesentlichen dann, wenn bei einem 52-jährigen Buchhalter, der seit mehr als 38 Jahren in einem kirchlichen Arbeitsverhältnis beschäftigt wurde, aus der katholischen Kirche austritt und anschließend ein Arbeitsgericht das Fortsetzungsinteresse als überwiegend erachtet. Verglichen mit diesem Fall ist vorliegend das Beendigungsinteresse der Beklagten als überwiegend zu erachten. Die Klägerin hat zwar mit ihrer Berufstätigkeit vier Personen zu unterhalten, Alter und Beschäftigungszeit haben aber ein weit geringeres Gewicht als in dem Falle des oben beschriebenen Arbeitnehmers, der die Verfassungsbeschwerde eingereicht hatte. Auch im Übrigen sind keine Umstände ersichtlich, die dem überwiegenden Beendigungsinteresse der Beklagten entgegenstehen.
Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde fehlte es unter Berücksichtigung von § 72 Abs. 2 ArbGG an einem gesetzlich begründeten Anlass.

Es bleibt abzuwarten, ob hier Nichtzulassungsbeschwerde zu dem Bundesarbeitsgericht eingelegt wird.

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