Rechtsreformen in Brasilien
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Rechtsreformen in Brasilien

Der Investmentgrad als Anreiz

Aufsatz, Deutsch, 2 Seiten, Tópicos

Herausgeber / Co-Autor: Deutsch-Brasilianische Gesellschaft

Erscheinungsdatum: 2008


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Der Investment Grade als Anreiz für weitere Rechtsreformen



Wandlung von spekulativen zu langfristigen und strategischen Investitionen

Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Aufbruch Brasiliens zu institutionellen und wirtschaftli-chen Reformen erhielt das Amazonasland am 30. April und 29. Mai 2008 jeweils den ersehn-ten Investment Grade der Rating-Agenturen Standard & Poor’s und Fitch. Brasilianische Staatsanleihen gelten damit nicht mehr als spekulativ, sondern als relativ sichere Anlage. Nunmehr gerüstet mit dem Gütesiegel BBB+ rückt das Land am Zuckerhut als begehrtes Ziel noch stärker in das Visier von ausländischen Investoren mit langfristiger und strategischer Ausrichtung.

Auslandsinvestitionen aus der EU auf dem Vormarsch in Brasilien

Damit deutet alles auf eine stabile Fortsetzung und Beschleunigung der in 2005 begonnenen positiven wirtschaftlichen Entwicklung hin. Hohe Exportüberschüsse und Kapitalzuflüsse aus dem Ausland machen den brasilianischen Real schon heute zu einer der stärksten Währungen weltweit. Der Aktienmarkt boomt, Brasilien ist Nettogläubiger gegenüber dem Ausland und das Land zeigt sich beharrlich resistent gegenüber der Immobilienkrise in den USA. So ver-wundert es nicht, dass in 2007 aus der EU mehr Auslandsinvestitionen nach Brasilien als nach China gingen.

Hindernisse für Investitionen:
Baustelle Infrastruktur und Reformstau bei Gesetzesvorhaben

Die der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung größtenteils nicht mehr gewachsene Verkehrs-infrastruktur bremst jedoch zum Teil investitionswillige Akteure aus, da heutzutage schon allein moderne und global vernetzte Logistikkapazitäten eine conditio sine qua non für die internationale Markterschließung bilden. Zu diesem schwergewichtigen Investitionshindernis kommt ein Reformstau in investitionsnahen Rechtsgebieten.

Um den mit der Verleihung des guten Investment Grade geschaffenen Investitionsanreiz voll umfänglich nutzten zu können, bedarf es daher in beiden Bereichen noch einiger Anstrengun-gen. Es mehren sich indes die Zeichen, dass Brasilien sich des Problems bewusst ist und aktiv an entsprechenden Lösungen arbeitet.

Infrastrukturprogramm und Öffentlich-Private-Partnerschaften

Die brasilianische Regierung hat inzwischen einen 500 Milliarden Dollar umfassenden Inves-titionsplan für den Ausbau der Infrastruktur des Landes vorgelegt – den so genannten PAC oder, frei ins Deutsche übersetzt, „Plan zur Beschleunigung des Wachstums“. Der Plan zielt u.a. auf die Anziehung privater Investitionen durch Öffentlich-Private-Partnerschaften (ÖPP) ab. Das diesbezügliche Engagement privater Teilhaber wird dabei mit einem aus dem Jahre 2004 datierenden Gesetz zu den ÖPP auf eine rechtlich solide Grundlage gestellt.

Auch wurde erkannt, dass es im Zusammenhang mit ausländischen Investitionen im Bereich der Infrastruktur (Verkehr, Energie und Telekommunikation) dringend der Schaffung unab-hängiger Aufsichtsbehörden bedarf, weil ohne sie ein effektiver Zugang zu diesen hochregu-lierten Märkten nicht hinreichend gewährleistet werden kann. Der Entwurf (Nr. 3337/04) für ein entsprechendes Rahmengesetz liegt in diesen Tagen dem Kongress zur Diskussion vor.

Besondere Beachtung verdienen auch die rechtlichen Rahmenbedingungen der Generierung erneuerbarer Energien. Brasilien arbeitet aktuell mit Hochdruck an Regularien zur Gewinnung von Derivaten aus Zuckerrohr oder Pflanzenöl. Die entsprechenden Vorschriften sollen si-cherstellen, dass mit der Produktion dieser Güter weder die Vernichtung des Regenwaldes noch ein Anstieg der Nahrungsmittelpreise einhergeht. Mittels einer Einteilung des Riesen-reichs in unterschiedliche agrar-ökologische Zonen soll dabei eine Vereinbarkeit der Agrar-Produktion mit den Geboten des Naturschutzes erreicht werden. Der neue Umweltminister und langjährige Umweltschützer Carlos Minc kündigte am 22. Mai an, ein im Bundesstaat Rio de Janeiro entwickeltes und viel beachtetes Musterprojekt bundesweit einführen zu wol-len.

Auflösung des Reformstaus

Auch der oben zitierte Reformstau beginnt sich allmählich aufzulösen. So steht die in vielen Bereichen noch Investitionen hemmende brasilianische Rechtsordnung vor einer Modernisie-rung und Öffnung. Als positive Beispiele lassen sich u.a. das Investitionen begünstigende neue Insolvenzrecht sowie die Öffnung des Marktes für ausländische Rückversicherer anfüh-ren. Doch immer wieder wird von Seiten der (potenziellen) ausländischen Investoren – zu Recht oder zu Unrecht – die mangelnde Rechtssicherheit, ewig währende Gerichtsverfahren, ein unübersichtliches Steuerrecht und ein zu arbeitnehmerfreundliches Arbeitsrecht beklagt. Die zitierten Defizite relativieren das insgesamt sehr erfreuliche wirtschaftliche Gesamtbild Brasiliens. Negative Erfahrungen von Unternehmern mit der brasilianischen Justiz oder ein-zelnen Rechtsgebieten wie dem Arbeits- oder Steuerrecht verbreiten sich rasch über Netzwer-ke wie auch in der Presse. Als Beispiel hierfür mag der in der Wirtschaftswoche vom 19.11.2007 erschienene Artikel über Brasilien angeführt werden, dessen sicherlich nicht un-bedingt vertrauenserweckender Titel „Brasilien – so hart wie in China“ lautet.

Mehr Rechtssicherheit und effektiver Zugang zum Recht

Seit Beginn des dritten Jahrtausends und verstärkt seit 2005 unternimmt das Land bereits er-hebliche Anstrengungen, die Verfahren in Zivil- und Handelssachen der staatlichen Gerichts-barkeit den aktuellen Bedürfnissen der Wirtschaft nach Rechtssicherheit und Schnelligkeit anzupassen. Die Dauer der Gerichtsverfahren soll durch eine Verfassungsänderung (Nr. 45/2004) auf ein vernünftiges Maß reduziert werden. Seither appelliert ein entsprechendes Grundrecht an die Justiz, die Verfahren in der gebotenen Zügigkeit durchzuführen. Ferner ermöglicht der neu eingeführte Artikel 103-A dem brasilianischen Bundesverfassungsgericht, Entscheidungen auf der Basis der so genannten “Stare Decisis-Lehre” zu verkünden. Das Ge-richt kann damit den nachgeordneten Gerichten in bestimmten Fällen verbindliche Vorgaben für Entscheidungen in Standardfällen (“súmulas vinculantes”) auf den Weg geben. Dadurch soll sowohl das oberste Gericht von Verfahren betreffend sich wiederholender Tatbestände entlastet als auch der Ablauf unzähliger Verfahren in den ersten Instanzen verkürzt werden.

Darüber hinaus ändert eine Reihe von Bundesgesetzen (Nr. 11.187/05, 11.232/05, 11.276/06, 11.277/06, 11.280/06, 11.341/06, 11.382/06, 11.418/08 und 11.419/06) die brasilianische Zi-vilprozessordnung dergestalt, dass die Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden. Dar-unter fällt primär die Beschränkung bestimmter – oft missbräuchlich verwendeter – Rechts-mittel wie bspw. die Revision beim Bundesverfassungsgericht („recurso ordinário“), die Vereinfachung des Zwangsvollstreckungsverfahrens mittels dessen Einbindung in das Er-kenntnisverfahren sowie die Einführung des elektronischen Datenverkehrs im Rahmen der gerichtlichen Prozessführung.

Schiedsgerichtsbarkeit als attraktive Alternative

Parallel zu den laufenden Reformen auf Seiten der justiziellen Verfahren entwickelt sich die Schiedsgerichtsbarkeit in Brasilien dank Schaffung der hierfür erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen (höchstrichterlich erklärte Verfassungsmäßigkeit der Schiedsgerichtsbarkeit, Inkrafttreten des auf dem Modell der Vereinten Nationen beruhenden brasilianischen Schiedsgesetzes und Ratifizierung des UN-Übereinkommens zur Anerkennung und Vollstre-ckung ausländischer Schiedsentscheidungen) zu einer attraktiven und verlässlichen Alternati-ve zur staatlichen Gerichtsbarkeit. Nicht nur brasilianische, sondern auch ausländische Schiedsgerichtshöfe wie beispielsweise der der Internationalen Handelskammer in Paris füh-ren Verfahren auf brasilianischem Boden durch. Auch die „Deutsche Institution für Schieds-gerichtsbarkeit“ kann solche Verfahren in Brasilien anbieten.

Vereinfachung des Steuerrechts

Die brasilianische Regierung und Legislative arbeiten zurzeit beide an der Einführung eines effizienteren Systems für die Erhebung von Steuern und Abgaben. Neben der mit Blick auf die Nachbarländer Brasiliens vergleichsweise hohen Steuerlast der Wirtschaft wird insbeson-dere der mit der Steuererhebung verbundene personelle und zeitliche Aufwand zu Recht kriti-siert. Eine konkrete Lösung in Form einer radikalen Steuerreform steht mangels politischer Einigkeit nicht unmittelbar bevor. Die diesbezüglichen Hürden sind erheblich, denn zunächst muss ein gemeinsamer Nenner gefunden werden, der sowohl die Gemeinden und die Bundes-staaten als auch den Bund zufrieden zu stellen vermag, anschließend bedarf es einer Ände-rung der Verfassung (mit der entsprechenden Mehrheit). Immerhin ist gegenwärtig aber ein entsprechender Gesetzesentwurf Gegenstand der Debatte im brasilianischen Kongress. Darin geht es vor allen Dingen um die Beschränkung der Sozialabgaben auf der Lohnbescheinigung (Abschaffung des so genannten “salário-educação” und Senkung des Tarifs des Rentenkas-senbeitrages), die Umwandlung anderer Sozialabgaben und Beiträge (PIS, Cofins und des CIDE) in eine Mehrwertsteuer, eine modifizierte Verteilung der Bundeseinnahmen sowie um die Harmonisierung der insgesamt 27 Mehrwertsteuergesetze auf Ebene der Bundesstaaten.

Fazit

Mit den in den letzten Jahren begonnenen rechtlichen Reformen schlägt Brasilien sicherlich den richtigen Kurs ein. Grund zum Zurücklehnen gibt es indes nicht, da es noch einige gordi-sche Knoten, insbesondere in den Bereichen des Steuer- und Arbeitsrechts, aufzulösen gilt. Erst dann kann die brasilianische Rechtsordnung – neben den allgemeinen positiven Wirt-schaftsdaten, dem Investment Grade, dem oben erwähnten PAC, der jüngst vom Präsidenten der Föderativen Republik Brasilien verkündeten, ambitiösen Industriepolitik sowie der anste-henden Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft in 2014 – dazu beitragen, dass Brasiliens Wirtschaft langfristig wächst und damit – der Prognose Stefan Zweigs entsprechend – zum Land der Zukunft avanciert.

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