Reform des französischen Arbeitsrechts in Sicht?
Reform des französischen Arbeitsrechts in Sicht?

Reform des französischen Arbeitsrechts in Sicht?

Beitrag, Deutsch, BERTON & ASSOCIES Avocats

Autor: Françoise Berton

Erscheinungsdatum: 2016


Aufrufe gesamt: 27, letzte 30 Tage: 1

Kontakt

Verlag

BERTON & ASSOCIES Avocats Deutsch-französische Rechtsanwaltskanzlei

BERTON & ASSOCIES Avocats Deutsch-französische Rechtsanwaltskanzlei

Telefon: +33-388-10-17-40

Telefax: +33-388-10-17-41

Referenzeintrag

Weitere Informationen über:

Maître Françoise Berton:

Kontakt

BERTON & ASSOCIES Avocats Deutsch-französische Rechtsanwaltskanzlei:

Kontakt

Ein Gesetzesentwurf mit dem Ziel der Lockerung des französischen Arbeitsrechts
 
Der Gesetzesentwurf der frz. Arbeitsministerin Myriam El Khomri wurde am Freitag, den 12.2.2016, dem höchsten frz. Verwaltungsgerichtshof (Conseil d’Etat) vorgelegt. Der Text sollte ursprünglich am kommenden 9.3. dem frz. Ministerrat (Conseil des ministres) vorgelegt werden. Jedoch hat sich der insbesondere von den Gewerkschaften geführte Protest ausgebreitet. So hat die Staatsregierung entschieden, diese Frist bis zum 24.3 zu verschieben.

Der Gesetzesentwurf hat zum Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Frankreich zu verbessern und im Zusammenhang mit der Massenarbeitslosigkeit die Beschäftigung zu begünstigen. Dieser Gesetzesentwurf hat leider zu massiven Streiks geführt, die seit  einigen Wochen stattfinden und Druck auf die Regierung ausüben, damit diese auf den Gesetzentwurf verzichtet. Die Regierung hat in den letzten Wochen diesem Druck nachgegeben und den Text abgeändert. Somit wurde dieser Gesetzesentwurf erheblich entkräftet.
 
Dieser Gesetzesentwurf basiert auf den Empfehlungen des Berichtes des Ausschusses unter dem Vorsitz von Robert Badinter. Dieser Bericht, welcher am 25.1.2016 dem Premierminister übermittelt wurde, definiert die grundlegenden Prinzipien, auf welchen die neue französische Arbeitsgesetzgebung aufgebaut werden soll. Nach Ansicht des Ausschusses ist die oberste Anforderung an das Arbeitsrecht, „den Frauen und Männern bei der Arbeit, den Arbeitnehmern, all denjenigen, die an der Wertschöpfung im Unternehmen teilnehmen, die Wahrung ihrer Grundrechte und insbesondere ihrer Würde, zu gewährleisten“.
 
Über einige in dem Gesetzesentwurf enthaltene Bestimmungen zum französischen Arbeitsrecht werden noch innerhalb der Regierung diskutiert. Das Herzstück der geplanten Reform ist jedoch bereits bekannt: Die Überarbeitung des frz. Arbeitsgesetzbuches, hauptsächlich bezüglich des Themas der Arbeitszeit, entsprechend der Empfehlungen des Badinter-Berichtes, welcher der Regierung vergangenen Januar vom Badinter-Ausschuss vorgelegt wurde. Dieses Gesetz dürfte den gesamten Teil des französischen Arbeitsgesetzbuches, welcher der Arbeitszeitorganisation gewidmet ist, abändern oder gar komplett umschreiben. Die Fortsetzung soll nach und nach bis 2018 erfolgen.
 
Viel Aufsehen wurde um die von der Regierung angekündigte mögliche Abschaffung der gesetzlichen Wochenarbeitszeit von 35 Stunden gemacht, ebenso wie um den gesetzlichen Lohnzuschlag für Überstunden von mindestens 10 %. Derzeit scheint es, dass diese Prinzipien unverändert bestehen bleiben. Es ist bedauernswert, dass die Regierung bezüglich der gesetzlichen Arbeitszeit zu einem derart radikalen Rückzieher übergegangen ist. Die Einräumung der Möglichkeit, die Untergrenze der gesetzlichen Arbeitszeit auf Unternehmensebene zu verhandeln, wie dies vorgesehen war, hätte den Unternehmen mehr Flexibilität bringen können und ihnen dadurch eine Erhöhung ihrer Wettbewerbsfähigkeit ermöglichen können.
 
Der Gesetzesentwurf sieht gleichwohl vor, den Unternehmen bestimmte Möglichkeiten zu eröffnen, insbesondere bezüglich der Gestaltung der Arbeitszeit. Gemäß dem am vergangenen Freitag übermittelten Projekt könnten Unternehmen die Berechnung von Überstunden auf ein Jahr, den Urlaub oder auch den Lohnzuschlag für Überstunden einfacher gestalten. Zu diesem Zweck soll gemäß dem Gesetzesentwurf der Vorrang der Betriebsvereinbarung im Bereich der Dauer der Arbeit die Regel werden.
 
Der Überstundenzuschlag
 
Der Überstundenzuschlag ist ein wichtiger Bestandteil der von der Regierung vorgesehenen Reform. Derzeit können Unternehmen, wenn eine Branchenvereinbarung dies vorsieht, Überstunden nicht unter einem Lohnzuschlag von 25 % vergüten.
 
Das geplante Gesetz könnte die Möglichkeit vorsehen, dass Unternehmen diese Zuschläge selbst verhandeln und die Höhe dieser Zuschläge also senken können. Ein Unternehmen könnte zum Beispiel zusammen mit den Gewerkschaften entscheiden, per Betriebsvereinbarung einen Zuschlag von 10 % für Überstunden vorzusehen (das gesetzlich vorgesehene Minimum), selbst wenn der Tarifvertrag einen höheren Satz vorsieht.
 
Das eigentliche Interesse ist offensichtlich, den Betriebshochs gerecht zu werden. Wenn die Gewerkschaften auch einen Verlust sozialer Errungenschaften befürchten, so ist dieses Maßnahmenprojekt doch mit großer Mehrheit zu befürworten, da es den Unternehmen erlaubt, auf die Unwägbarkeiten der Aufträge zu reagieren, welche in unserer Wirtschaft zunehmend an Bedeutung gewinnen.
 
Die Anpassung der Arbeitszeit und der Löhne mit der Reform in Frankreich
 
Um eine Anpassung an die Produktionszyklen, an einen Abschwung oder Aufschwung der Wirtschaftstätigkeit zu ermöglichen, könnte das Unternehmen die Arbeitszeit und den Lohn der Arbeitnehmer für einen Zeitraum von maximal fünf Jahren frei anpassen.
 
Schließlich, wenn ein Unternehmen einen neuen Vertrag errungen hat, für welchen es darauf angewiesen ist, seine Arbeitnehmer länger zu dem Basisstundensatz arbeiten zu lassen, kann das Unternehmen dies unter der Bedingung tun, dass es die Unterschriften der Mehrheit seiner Gewerkschaften erhält. Dem Gesetzesentwurf nach muss der Arbeitgeber außerdem die Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer einholen und diejenigen, welche ihre Zustimmung verweigern, könnten aus wichtigem Grund entlassen werden.
 
Bisher kann einem sich weigernden Arbeitnehmer aus wirtschaftlichem Grund gekündigt werden, so dass er spezielle an eine Kündigung aus wirtschaftlichem Grund geknüpfte Gewährleistungen in Anspruch nehmen kann. Diese Maßnahme dürfte den Unternehmen einmal mehr ermöglichen, genau auf die Bedürfnisse des Marktes zu reagieren. Wir bezweifeln jedoch ernsthaft, dass diese Maßnahme in dem Gesetz, welches letztlich verabschiedet werden wird, aufrechterhalten wird.
 
Die Idee der Tagespauschale ohne Tarifvertrag aufgegeben?
 
Die andere Neuheit des Gesetzesentwurfs betraf Unternehmen mit weniger als 50 Arbeitnehmern. Diese kleinen Unternehmen sollten gemäß dem Gesetzgebungsvorhaben in der Lage sein, den Arbeitnehmern, welche damit einverstanden wären, individuell eine Tagespauschale anzubieten, ohne dafür zwingend zuvor einen Tarifvertrag darüber aushandeln zu müssen.
 
Dieser Vorschlag wurde leider nach den massiven Streiks in Frankreich von der Regierung zurückgezogen.  Die Regierung hat somit den Gesetzesentwurf revidiert und eine bereits vor der Reform existierende Bedingung aufrechterhalten.
 
Diese kleinen Unternehmen sollten in Zukunft die Möglichkeit haben, den Arbeitnehmern, welche damit einverstanden wären, individuell eine Tagespauschale anzubieten. Jedoch stellt der Gesetzesentwurf die folgende Hürde auf: Der Tarifvertrag muss die Möglichkeit der individuellen Verhandlung ausdrücklich vorsehen.
 
Wir erinnern daran, dass die Tagespauschale eine Form der Berechnung der Arbeitszeit in gearbeiteten Tagen oder halben Tagen ohne Bezug auf genaue Uhrzeiten darstellt, welche in den Artikeln L3121-43 fortfolgende des frz. Arbeitsgesetzbuches vorgesehen ist. Diese Form sieht vor, dass die Arbeitnehmer maximal 235 Arbeitstage pro Jahr arbeiten dürfen und ihnen auf 24 Stunden zwingend 11 Stunden am Stück Erholungszeit zur Verfügung stehen müssen.
 
Die Tagespauschale betrifft in der Organisation ihres Zeitplans selbständige leitende Angestellte und bestimmte nichtleitende Arbeitnehmer, welche ebenfalls über eine echte Autonomie verfügen müssen. Gemäß dem Gesetzesentwurf sollten die 11 Stunden Erholungszeit aufgeteilt werden können und müssten nicht mehr zwingend aufeinanderfolgend sein.
 
Neuigkeiten über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung in Frankreich?
 
Diese neue Maßnahme wurde von den Sozialpartnern, mit Ausnahme der CFDT (frz. christlich geprägte Gewerkschaft), stark kritisiert. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass bei einer Blockade der Gewerkschaften, die die Vereinbarung nicht schließen wollen, die Arbeitnehmer nach Zustimmung von Gewerkschaften unmittelbar abgefragt werden dürfen.
 
Diese Betriebsvereinbarungen müssten außerdem, laut dem frz. Premierminister M. Valls, „Vorrang vor dem Arbeitsvertrag genießen, sofern sie es ermöglichen, die Beschäftigung zu schützen bzw. zu fördern“.
 
Schließlich würde das Vetorecht der Gewerkschaften, welche mindestens 50 % der Arbeitnehmer vertreten, abgeschafft.
 
Diese Maßnahme entstand aus einer lobenswerten Absicht, jedoch kann man sich fragen, ob es mit ihr gelingen wird, den sozialen Dialog wiederaufzunehmen, welcher im Wesentlichen unterbrochen ist, wenn eine repräsentative Gewerkschaft bereits die Unterzeichnung einer mehrheitlichen Tarifvereinbarung verweigert hat.
 
Die Höchstgrenzen für Abfindungen vor dem Arbeitsgericht
 
Der erste Gesetzesentwurf sah vor, dass die arbeitsgerichtlichen Abfindungen im Falle einer Kündigung ohne Kündigungsgrund begrenzt würden. Diese neue Bestimmung war von den Arbeitgeberverbänden heftig verteidigt worden. Diese Bestimmung war bereits im Macron-Gesetz vom 6.8.2015 enthalten. Sie wurde jedoch von dem frz. Verfassungsgericht (Conseil constitutionnel) mit der Begründung beanstandet, „[dass die Begrenzung] auf Kriterien beruhen müsse, welche einen Bezug zu dem von dem Arbeitnehmer erlittenen Schaden darstellen“.
 
Die Bestimmungen des ersten Gesetzesentwurfs hatten daher die Betriebszugehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Die Streiks, die seit wenigen Wochen stattfinden, haben jedoch dazu geführt, dass die Regierung die Höchstgrenzen nur noch als „Empfehlung“ darstellt. Somit hat die französische Regierung diese große Neuheit im französischen Arbeitsrecht aufgegeben. Anstatt einer für die Richter verbindlichen Höchstgrenze für Abfindungen hat die Regierung einen Richtwert vorgeschlagen. Dieser Richtwert sollte nicht zwingend sein. Somit könnten die Arbeitsgerichte sich von diesen Empfehlungen abnabeln. Damit ist der Text letztendlich entkräftet.
 
Eine genauere Definition des betriebsbedingten Kündigungsgrundes
 
In dem Gesetzesentwurf definieren genauere Kriterien als bisher nunmehr den betriebsbedingten Grund einer Kündigung. Somit hat der Gesetzentwurf die Eingliederung der von der Rechtsprechung festgelegten Kriterien in das zukünftige Gesetz vorgesehen.
 
Es handelt sich hierbei eher um eine Klarstellung des wirtschaftlichen Kündigungsgrundes, welche die Vermeidung von manchmal übertriebenen Forderungen der Arbeitnehmer ermöglichen sollte.
 
Außerdem sollte es künftig ausreichen, wenn die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Arbeitgebers sich auf Frankreich beschränken, was für internationale Konzerne sehr wichtig sein dürfte. Diese Unternehmen haben bisher Schwierigkeiten, Arbeitnehmern zu kündigen, wenn nicht in der gesamten Unternehmensgruppe finanzielle Probleme existieren. Dieser Gesetzesentwurf sollte dieser Schwierigkeit entgegentreten.
 
Der Gesetzesentwurf wurde am Freitag, dem 12.2.2016, dem höchsten frz. Verwaltungsgerichtshof vorgelegt. Dieser höchste frz. Verwaltungsgerichtshof hat am 21.3.16 die Bestimmungen des Gesetzesentwurfs überprüft und abgeändert. Er hat unterstreichen wollen, dass der Richter die Aufgabe hat, die Realität des Kündigungsgrundes zu prüfen. Wir verstehen nicht, was dieser Zusatz im Gesetzesentwurf bringen soll. Die Regierung wird sicherlich in Kürze nochmals ihre Position klären.

Françoise Berton

FR, Strasbourg

Rechtsanwältin und Avocat

BERTON & ASSOCIES Avocats Deutsch-französische Rechtsanwaltskanzlei

Publikationen: 3

Aufrufe seit 01/2011: 3948
Aufrufe letzte 30 Tage: 6