Hörverlust - na und?
Hörverlust - na und?

Hörverlust - na und?

Gesundheitliche Folgen von Demenz bis Tinnitus

Beitrag, Deutsch

Autor: Dr. Juliane Dettling-Papargyris

Erscheinungsdatum: 2023


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Unser Gehör leistet Großes: 24 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche arbeitet es im Dauereinsatz. Es warnt uns vor Gefahren, macht Richtungs- und Entfernungshören möglich und ist die Basis für ein soziales, kommunikatives Leben. Beachtung erfährt es in den meisten Fällen jedoch erst dann, wenn die Höreinschränkungen schon so groß sind, dass diese nicht mehr kompensiert werden können.
 
Hörverlust – ein globales Thema
Nach aktuellen Angaben der WHO (world health organisation) sind derzeit weltweit mehr als 1,5 Milliarden Menschen von einer Schwerhörigkeit betroffen. Diese Zahl könnte bis 2050 auf 2,5 Milliarden ansteigen. Darüber hinaus besteht für 1,1 Milliarden junge Menschen die Gefahr eines dauerhaften Hörverlusts, wenn sie über einen längeren Zeitraum hinweg zu laut Musik hören [1]. Schwerhörigkeit betrifft also Menschen aller Altersgruppen – nicht, wie oftmals angenommen, nur ältere Menschen.
In Deutschland sind 11,1 Millionen Menschen von einer Hörminderung betroffen. Weiter wird ein prognostizierter jährlichen Zuwachs von 150.000-160.000 Schwerhörigen erwartet [2]. Der Tragweite eines nicht therapierten Hörverlusts sind sich unterdessen wahrscheinlich nur die Wenigsten bewusst. Nur so lässt sich erklären, warum es durchschnittlich sieben Jahre dauert, bis sich Betroffene Hilfe suchen.
 
Gesundes Gehör – gefilterte Wahrnehmung
Eine essenzielle Aufgabe der Hörverarbeitung besteht darin, die eingehenden Hörinformationen zu filtern, zu selektieren und zu interpretieren. Dafür sind die neuronalen Hörfilter zuständig. Diese filtern 70 % des Gehörten aus, so dass nur 30 % der Hörinformationen unsere bewusste Hörverarbeitung erreichen. Unwichtige Alltagsgeräusche aber auch körpereigene Geräusche wie Atmen oder Schlucken werden so ausgeblendet. Das schützt vor einer ständigen, akustischen Überlastung. Zum anderen ermöglicht es selektives Hören in akustisch anspruchsvollen Situationen mit viel Hintergrundgeräuschen. Eine entspannte Kommunikation in lauten Umgebungen, wie in der Firmenmensa oder beim Get-together am Feierabend, wären sonst unmöglich. Entspanntes Zuhören und gezieltes Weghören hängen demnach in großem Maß mit der Aktivität der Hörfilter zusammen.
 
Geschädigtes Gehör – ungefilterte Wahrnehmung
Bei einem Hörverlust können die Ohren nicht mehr alles Gehörte ins Gehirn weiterleiten. Dieser Mangel an Hörinformation führt dazu, dass sich neuronale Strukturen der Hörverarbeitung zurückbilden. Die Fähigkeit, zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen zu differenzieren, geht verloren. Dieser Abbau erfolgt nicht aufgrund einer fehlenden Funktionalität, sondern aufgrund einer ausbleibenden Nutzung – vergleichbar mit der Muskulatur, die bei Nicht-Nutzung ebenso zurückgebildet wird. Was hirnphysiologisch nachvollziehbar ist, wirkt sich leider ungünstig auf den „Hör-Alltag“ aus.
 
 
Herausfordernde Auswirkungen im Alltag …
Das Gehör bildet eine Schlüsselkomponente der menschlichen Fähigkeiten. Es ist der Sinn, auf den man sich am meisten verlässt, wenn es um Kommunikation und zwischenmenschlichen Austausch geht. Dabei spielen konzentriertes Hinhören und gezieltes Ausblenden eine gleichermaßen wichtige Rolle.  In einer Gruppe und/oder in geräuschvollen Umgebungen wird die Konzentration auf einen Sprecher schwierig und anstrengend, wenn die Hörfilter-Leistung reduziert ist. Und das nicht, weil man den Eindruck hat, zu wenig zu hören, sondern weil Betroffene nicht mehr in der Lage sind, sich auf einen Sprecher zu konzentrieren und gleichzeitig andere Hörinhalte auszublenden.
Gezieltes Hin- und Weghören sind akustische Fertigkeiten, die nur mit aktiver Hörfilterleistung gelingen. Defizite in ebendiesen sind erste Anzeichen dafür, dass möglicherweise ein Hörminderung vorliegt.
 

Schnelltest: Anzeichen für eine Hörminderung?
Wenn Sie mindestens eine der nachfolgen Angaben mit Ja beantworten können, sollten Sie ihr Gehör überprüfen lassen und sich Gewissheit verschaffen.
 
  • Fühlen Sie sich in Gesprächssituationen durch Nebengeräusche gestört?
                            
  • Haben Sie den Eindruck, das Gesagte Ihres Gegenübers in lauter Umgebung, wie z.B. einer Messe oder einem Restaurant, schlecht zu verstehen?
                                           
  • Denken Sie öfter, dass Ihre Gesprächspartner nuscheln?     
                                           
  • Lässt Ihre Konzentration in Gruppengesprächen schnell nach?
                                            
  • Lässt Ihre Aufmerksamkeit gegen Ende des Tages sehr stark nach?
 
  • Haben Sie Ohrgeräusche (Tinnitus)?

 
… und Einfluss auf die geistige Fitness
Ein Hörverlust sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Denn viele Erkrankungen, die überwiegend mit pathologischen Veränderungen im Gehirn assoziiert sind, werden mit einem nicht therapierten Hörverlust in Verbindung gebracht. Ein Gehirn, das ordnungsgemäß alle Hörinformationen von den Ohren erhält, ist ein gefordertes Gehirn. Es ist fit und gut trainiert. Wer allerdings über den Tagesverlauf hinweg aufgrund einer Hörminderung überdurchschnittlich viel Energie aufwenden muss, um andere zu verstehen, hat weniger Kapazitäten für sein Gedächtnis und andere geistige Leistungen zu Verfügung. Das führt zu einem schnellerem Aufmerksamkeitsverlust und rascherer Erschöpfung. Und letztlich auch zu Einschränkungen der Lebensqualität. Soziale Isolation und Depression werden begünstigt [3].
 
Von Demenz bis Tinnitus
Zahlreiche Forschungsarbeiten untersuchten den Zusammenhang zwischen Hörverlust und Kognition (geistige Fitness). In einer Studie von 2015 konnte gezeigt werden, dass ein unbehandelter Hörverlust zu einem schnelleren Abbau kognitiver Fähigkeiten, also der geistigen Fitness, führt. Die Verwendung von Hörgeräten dem aber entgegenwirkt [4].
Weitere Arbeiten beschäftigten sich mit dem Zusammenhang zwischen Hörverlust und Demenz. Eine Studie kam zum Ergebnis, dass mit abnehmendem Hörvermögen die Wahrscheinlichkeit steigt, an einer Form von Demenz zu erkranken. So soll ein Hörverlust von 10 dB (entspricht einem leichtgradigen Hörverlust) das Demenzrisiko um 20 % erhöhen [5].
Eine aktuelle Lancet-Studie [6] benennt außerdem zwölf potenziell modifizierbare Risikofaktoren für Demenz, wozu auch eine Hörminderung zählt. Der Bericht schätzt, dass eine Veränderung dieser Risikofaktoren 40 % der Demenzfälle weltweit verhindern oder verzögern könnte. Eine Hörminderung wird als der größte Faktor im Risikominderungsmodell bewertet und macht 20,5 % der veränderbaren Chancen aus. Eine adäquate Versorgung des Gehörs ist demnach die beste Möglichkeit einem dementiellen Abbau entgegenzuwirken.
Auch das Auftreten eines Tinnitus steht meist im engen Zusammenhang mit einem Hörverlust: Unter Fachleuten herrscht Konsens, dass der Großteil aller Tinnitus-Betroffenen auch unter einem (oft unbemerkten) Hörverlust leidet und eine Hörgeräteversorgung sowie eine Hörtherapie zur Senkung der Tinnitus-Belastung beitragen können.
 
Ein unversorgter Hörverlust schränkt nicht nur die Lebensqualität ein, sondern kann weitreichende Folgeerkrankungen mit sich bringen. Bei der Gesundheitsvorsorge sollte das Gehör deshalb unbedingt mitberücksichtigt werden, beispielsweise durch einen jährlichen Hörtest. Je eher ein Hörverlust diagnostiziert und versorgt wird, umso besser: Für das eigene Wohlbefinden, die geistige Fitness und als Basis für ein soziales, kommunikatives (Arbeits-)Leben.
 

Dr. Juliane Dettling-Papargyris

DE, Sonneberg

Leiter

terzo-Institut

Publikationen: 6

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