RussischRoulette im Capitol
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Schuldenmachen ist amerikanische Tradition seit hundert Jahren. Doch irgendwann platzt auch diese Blase. Kann Amerika Pleite gehen? Aber sicher

Beitrag, Deutsch, P.T. Magazin

Autor: Dr. Helfried Schmidt

Herausgeber / Co-Autor: OPS Netzwerk GmbH

Erscheinungsdatum: 2011

Quelle: P.T. Magazin


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Die Medien schwirren nur so von Vermutungen und Unterstellungen über die aktuelle Schuldenkrise in den USA, über deren Lösung sich der US-Kongress offenbar nicht einig werden kann. Bis Sonntagabend müssen sich Republikaner und Demokraten einigen, sonst sind die USA zahlungsunfähig. Dabei ist das Spiel nichts Neues. Über Staatsverschuldung, Inflation und Schulden“ober“grenzen wird seit Jahrzehnten völlig wirkungslos debattiert.

Es ist fast 100 Jahre her, dass die USA begannen, Kriege mit Staatsschulden zu finanzieren. Im 1.Weltkrieg war Gold die wichtigste Ressource zur Güterversorgung der Streitkräfte. Deshalb verboten die Regierungen Goldexporte. Nach dem 1. Weltkrieg kaufte das 1913 von den Finanzgruppen Rothschild und Rockefeller gegründete private Federal Reserve System in den USA die Goldreserven der Welt auf. Viele nationale Währungen weltweit konnten daraufhin ihren Goldstandard nicht halten und brachen in der Deflation der ersten Weltwirtschaftskrise zusammen.

Papiergeld statt Gold

Der Goldmarkt kollabierte, die Wechselkurse waren nicht mehr gebunden, die Regierungen erließen neue Steuern und gaben neue Staatsanleihen aus: Papiergeld, dessen Wert nicht durch Gold gedeckt war. Damals musste der US-Kongress noch jede einzelne Staatsanleihe genehmigen. Als es immer mehr wurde, wurde 1917 eine Schuldenobergrenze eingeführt. Wie in Staatswirtschaften üblich, hielt man sich nicht dran. Die „Ober“grenze wurde mindestens jährlich erhöht, allein seit 1980 51-mal.

Nach dem 1. Weltkrieg folgten Hyperinflation 1923 und Weltwirtschaftskrise 1929. Theodore Roosevelt erlaubte 1932 Silber zur Münzprägung, setzte damit die Goldkonvertibilität des Dollars aus und bewirkte eine Kettenreaktion von finanzpolitischen Problemen. Am 22. Juli 1944, also lange vor Ende des Zweiten Weltkrieges, konzipierten 44 Staaten auf der Konferenz von Bretton Woods ein internationales Währungssystem, in dessen Zentrum die US-Währung Dollar stand, dessen Wert mit 35 Dollar je Unze Gold festgelegt wurde. Der Dollar löste das britische Pfund als internationale Leitwährung ab. Die USA waren zur dominanten Weltmacht geworden.

Wildwest und Wallstreet

20 Jahre später wurde der Vietnamkrieg – ebenso wie die Kriege zuvor – finanziert, indem der Staat mehr Geld druckte, also einfach die Geldmenge erhöhte. Das heißt gezielte und beabsichtigte Inflation, die den Wert je Dollar immer mehr verringerte. Dadurch ließen die USA praktisch die Bretton-Woods-Mitgliedsländer die Kriegskosten finanzieren. Bereits Ende der 60er Jahre war der Dollar derart vermehrt worden, dass die Goldreserven nicht einmal ausreichten, um die Forderungen eines einzigen Mitgliedslandes zu erfüllen: Frankreich hatte 1969 seine Dollarreserven in Gold einlösen wollen und die USA dadurch international in die Zahlungsunfähigkeit gebracht.

Dieses Dilemma wurde in Wildwest-Manier gelöst: 1971 kündigte US-Präsident Richard Nixon nach der Golddeckung einfach auch die Staatshaftung auf. Seitdem sind Dollars – und alle an ihm als inter-nationaler Leitwährung orientierten nationalen Währungen – praktisch wertlose Papierschnitzel. Sie taugen nur so lange als globale Leitwährung, wie alle Teilnehmer der internationalen Zahlungsströme ohne Schaden zu nehmen daran glauben wollen.

In den USA selbst hat diese Entwicklung endgültig zum Bruch mit allen Tabus seriöser Finanzpolitik geführt. Schon Nixons Finanzminister John Conolly traf damals gegenüber europäischen Regierungen seine berühmte Aussage: „Der Dollar ist unsere Währung – aber euer Problem.“ Vom 11. August 1987 bis zum 31. Januar 2006 war Alan Greenspan Vorsitzender der US-Notenbank Federal Reserve System. Unter seiner Leitung wurde in den USA in wenigen Jahren doppelt so viel Geld gedruckt wie in 200 Jahren zuvor. Diese Geldblase wabert nun um die Welt.

Risikoloses Monopoly mit Papierschnitzeln

In den letzten 30 Jahren wurde der Geldkreislauf in der Welt vervierzigfacht, der Güterkreislauf hat sich nur vervierfacht. Folgen dieser mühsam unterdrückten Inflation sind weltweite unüberschaubare Risiken. 80 Prozent aller verfügbaren Dollars sind inzwischen außerhalb der USA gebunkert. Eine Währungsreform entreichert – oder zu Deutsch: bescheißt – ausschließlich die Gläubigerstaaten. Den USA kann gar nichts Besseres einfallen, als dieses risikolose Monopoly mit Papierschnitzeln fortzusetzen, so lange es geht.

Nach Greenspan berief US-Präsident George W. Bush einen zuverlässigen Nachfolger als FedRes-Präsident. Helikopter-Ben, der im Notfall Geld zur Vermeidung einer Deflation aus dem Hubschrauber über den Städten abwerfen wollte. Ben S. Bernanke sagte am 21. November 2002 vor dem National Economists Club in Washington, D.C: „But the U.S. government has a technology, called a printing press (or, today, its electronic equivalent), that allows it to produce as many U.S. dollars as it wishes at essentially no cost.” Zu Deutsch: „Die US Regierung verfügt über eine Technologie, genannt Druckerpresse (oder heute ihr elektronisches Äquivalent), die ihr die Produktion so vieler US-Dollars erlaubt, wie sie wünscht – und das ohne Kosten.“ Hier lügt der Chef der weltgrößten Notenbank ganz dreist: Natürlich entstehen Kosten. Allerdings werden sie den internationalen Handels- und Finanzpartnern der USA aufgezwungen.

Anne Stausboll, CEO des kalifornischen Pensionsfonds Calpers, und alle anderen Gläubiger der Dollarmasse und Profiteure der Inflation, rechnen richtigerweise bei Zahlungsunfähigkeit der USA mit verheerenden Folgen durch wirtschaftlichen und sozialen Niedergang.

Selbst wenn die Zahlungsunfähigkeit verhindert wird: Die völlig aus dem Ruder gelaufene staatliche Schuldenmasse wird früher oder später korrigiert werden: Langsam und gesteuert mit Einsparungen, also weniger staatlichen Ausgaben. Oder rasch, ungesteuert, chaotisch, über Krise und Kollaps.

Im Westen nichts Neues

Übrigens verweigerte bereits 1995, in der Amtszeit von US-Präsident Bill Clinton, der damals republikanisch dominierte Kongress seine Zustimmung zu einer Erhöhung der US-Schuldengrenze. Die damalige Konsequenz: Ministerien, Behörden und öffentliche Parks mussten schließen – ihre Mitarbeiter wurden kurzzeitig arbeitslos. Damals profitierte Clinton politisch von dem Streit, sein Kontrahent, der damalige republikanische Mehrheitsführer im Kongress, Newt Gingrich, verlor hingegen dramatisch an Zustimmung.

Nichts spricht dagegen, dass sich diese Situation heute wiederholen kann. Auch wenn die dominante Mediendiskussion es nicht wahrhaben will: Dass Amerika vor der Pleite steht, ist nichts Neues. Bisher haben die USA sich auf Kosten ihrer Handelspartner zwar immer aus dem Schlamassel befreit. Doch ob das diesmal klappt, ist fraglich.

Für den britischen Historiker Niall Ferguson ist im ZEIT-Interview klar: „Der Aufstieg des Westens, der vor sechshundert Jahren mit den portugiesischen Seefahrern begann, hat seinen Höhepunkt längst überschritten. Wir erleben gerade das Ende der westlichen Vorherrschaft.“ Denn Ferguson, der sich jüngst mit Komplexitäts- und Systemtheorie beschäftigte, hält die zyklischen Modelle, mit denen Staats- und Politikwissenschaftler, Historiker und Ökonomen seit Jahrzehnten gearbeitet haben, für überholt.

Dominanter Prozess

Ferguson erwähnt als Beispiel, dass das riesige Römische Reich in nur weniger Generationen zerbrach, ebenso das Byzantinische Reich oder die Habsburger Monarchie. Noch 1989 hätte niemand für möglich gehalten, dass die Weltmacht Sowjetunion und das „sozialistische Weltsystem“ nur wenige Jahre später Geschichte sein würden. Warum also, fragt Ferguson, sollte der Niedergang Amerikas langsamer passieren?

Die Welt ändert sich gerade. Indien, China, die BRIC-Staaten, die ehemalige 3. Welt sind die wirklichen Globalisierungsgewinner. Sie holen auf. Das Zentrum der Weltwirtschaft wandert unaufhaltsam vom Westen in den asiatisch-pazifischen Raum. Löst Amerika sein Schuldenproblem, wird das diesen Prozess nicht aufhalten. Versagt die amerikanische Politik, beschleunigt sich dieser ohnehin dominante Prozess.

„Wie der Dollar sein Gesicht verliert“ konnte man schon 2008 im P.T. Magazin nachlesen: http://www.pt-magazin.de/newsartikel/datum/2008/01/16/das-trojanische-kalb/. Und bereits 2007 bezweifelte der Stanford-Professor Paul Saffo, dass die USA zur Jahrhundertmitte überhaupt noch als staatliches Gebilde existieren.

Ferguson über Europa

Für Ferguson ist im ZEIT-Interview übrigens auch klar, was man in Europa gern tabuisiert: Das Verfolgen sich widersprechender Ziele kann immer nur schlechte Resultate bringen. Solange die EZB gleichzeitig das Bankensystem über Wasser halten und die Inflation unter Kontrolle bekommen will, wird Stabilität in Wachstumsschwäche münden, was die Unterschiede und Konflikte zwischen den Kernländern und der Peripherie weiter verstärkt. Das wiederum könnte den Volksparteien schaden und populistischen Bewegungen zu Einfluss verhelfen, obwohl genau das niemand anstrebt, der heute Rang und Namen hat.

Original auf http://www.pt-magazin.de/newsartikel/datum/2011/07/29/russischroulette-im-capitol/

Dr. Helfried Schmidt

DE, Leipzig

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