Ein wenig Latein: Moratorien und die Suche nach dem Actus Contrarius
Ein wenig Latein: Moratorien und die Suche nach dem Actus Contrarius

Ein wenig Latein: Moratorien und die Suche nach dem Actus Contrarius

Beitrag, Deutsch, 2 Seiten, Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG

Autor: Dr. Alexander Konzelmann, Komm.ONE AöR

Erscheinungsdatum: 01.05.2011

Quelle: Ausgabe 2011.5

Seitenangabe: 10-11


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Ein wenig Latein: Moratorien
... und die Suche nach dem Actus Contrarius

Ein Rechtsakt kann nach der sogenannten „Actus-Contrarius-Theorie“ durch einen Gegenakt aufgehoben werden. Das bedeutet, wenn gesetzlich oder vertraglich nichts anderes vorgeschrieben ist, kann der Urheber eines Rechtsaktes diesen durch eine gegenteilige Rechtshandlung für die Zukunft beseitigen. Vertragsparteien können einen Aufhebungsvertrag schließen, Behörden können einen Verwaltungsakt, den sie selbst auch erlassen konnten, durch Verwaltungsakt aufheben. Der Gesetzgeber kann ein Gesetz durch Gesetz aufheben und der Verordnungsgeber darf „seine“ Verordnungen nicht nur ändern, sondern auch formell aufheben. Als berühmte Ausnahme gilt die Ehe: sie wird vor dem Standesbeamten geschlossen, aber – häufig – vor einem Scheidungsrichter beendet. In letzter Zeit scheint aber eher ein Moratorium der Actus-Contrarius-Theorie eingetreten zu sein.

Aktuellstes Beispiel ist der Förderfonds-Vertrag der Bundesregierung mit Kernkraftwerksbetreibern über eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken. Es gibt aber weitere Beispiele.

Beispiel 1: „Internet – Stoppschilder“

Als ein Beispiel kann die vorübergehende oder endgültige Nichtanwendung der gesetzlich vorgesehenen „Internet-Stoppschilder“ dienen. Diese erfolgte nicht ebenfalls per Gesetz, sondern per Erlass des Innenministers. Das Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen vom 17. 02. 2010 (BGBl. I S. 78) trat am 23. 02. 2010 in Kraft. Es sieht eine Zugangserschwerung mit Sperrliste und Stoppmeldungen unter Einbindung des Bundeskriminalamtes vor. Die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP hatten jedoch in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, das Zugangserschwerungsgesetz zunächst für ein Jahr nicht anzuwenden. Dementsprechend wurde das Bundeskriminalamt durch Erlass des Bundesministeriums des Innern vom 17.02.2010 aufgefordert, den „in §1 Abs.2 ZugErschwG eingeräumten Beurteilungsspielraum dahingehend zu nutzen, dass keine Aufnahme in Sperrlisten erfolgt und Zugangssperren unterbleiben“ (BT-Drs. 17/4427 S.2). Ob die Textstelle „Die Aufnahme in die Sperrliste er- folgt nur, soweit zulässige Maßnahmen, die auf die Löschung des Telemedienangebots abzielen, nicht oder nicht in angemessener Zeit erfolgversprechend sind.“ einen Beurteilungsspielraum eröffnet, der zur kompletten Nichtanwendung des Gesetzes führt, wird bezweifelt. Inzwischen ist das Gesetz übrigens doch auf dem Wege der förmlichen Aufhebung.

Beispiel 2 „Schilderwald-Novelle“

Ein weiteres Exempel bietet die eigenartige Geschichte der „Schilderwald-Novelle“. Die Sechsundvierzigste Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 5. 08. 2009 (BGBl.I S. 2631) trat zum 1. 09. 2009 in Kraft und hatte in der Anlage die neuen Verkehrsschilder. Es gab aber keine umfassende Weitergeltungsanordnung für die alten Verkehrsschilder. Dies führte zu politischer Unzufriedenheit, insbesondere bei den Kommunen, die immense Kosten für neue Schilder auf sich zukommen sahen. Verkehrsminister Ramsauer erklärte die Änderungsverordnung in einer am 13. 04. 2010 veröffentlichten Presseerklärung für verfassungswidrig und nichtig, und zwar aufgrund einer in der Erklärung nicht näher bezeichneten Verletzung des Zitiergebotes nach Art.80 Abs.1 Satz3 des Grundgesetzes. Interessant daran ist, dass diese informelle Erklärung alleine stehen blieb, aber die Verordnung in der Folge nicht formal aufgehoben wurde. Nun steht ein Text im BGBl., dem ebenfalls in diesem amtlichen Verkündungsorgan widersprochen werden müsste, um den weiterhin vorhandenen Rechtsschein einer wirksamen Änderungsverordnung zu zerstören.

Beispiel 3: Wehrrecht

Erwähnt werden könnte auch, dass es zwar noch ein Wehrpflichtgesetz gibt. Derzeit gibt es aber keine neuen Wehrpflichtigen mehr. Denn bereits seit dem 1. 03. 2011 werden Wehrpflichtige nicht mehr gegen ihren Willen zum Dienst verpflichtet. Formal wird aber die Wehrpflicht erst zum 1. 07. 2011 ausgesetzt durch das bei Redaktionsschluss noch nicht verkündete Wehrrechtsänderungsgesetz 2011, das am 15. 04. 2011 den Bundesrat passierte (BR-Drs. 170/11). Also wird das noch in Kraft befindliche Wehrpflichtgesetz ein Vierteljahr lang kraft Verwaltungsanweisung ignoriert.

Das „Kernkraft-Moratorium“

Als vorerst jüngstes Betrachtungsobjekt soll der Förderfonds-Vertrag der Bundesregierung mit Kernkraftwerksbetreibern über eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken dienen. Er stellte eine Laufzeitverlängerung gegen Zahlungen in einen Fonds zur Finanzierung von Fördermaßnahmen zur Durchführung des Energiekonzeptes der Bundesregierung in Aussicht. Der Vertrag wurde im Oktober 2010 zwischen der Bundesrepublik, vier Energieversorgungsunternehmen und neun Kernkraftwerksbetreibergesellschaften abgeschlossen und war demnach multilateral.

Am 14. 12. 2010 trat das Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ (EKFG, BGBl.I 2010, S.1807) in Kraft. Dieses enthält in §4 Abs.3 die Rechtsgrundlage für den Förderfonds-Vertrag. Am selben Tag trat das Elfte Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes (BGBl.I 2010, S.1814) in Kraft, welches die Laufzeitverlängerungen regelte.

Nach den Reaktorunfällen in Fukushima verkündete die Bundeskanzlerin am 14. 03. 2011 aber ein sogenanntes Moratorium, das heißt, sie setzte einseitig für drei Monate die Verlängerung der Betriebsgenehmigungen für ältere Meiler außer Kraft und kündigte an, dass die zuständigen Aufsichtsbehörden der Länder dasselbe tun würden, und zwar auf der Rechtsgrundlage von §19 Abs.3 Satz2 Nr.3 des Atomgesetzes (Gefahrenverdacht). Es gab Zweifel, ob die Rechtsgrundlage solche Verwaltungsakte trage. Kritik und Verwunderung erntete die Vorgehensweise, ein formelles Gesetz und einen schriftlichen Vertrag durch eine einseitige mündliche Ankündigung für vorläufig nicht anwendbar zu erklären. Hierzu ist in dieser Ausgabe (PUBLICUS 2011.5, Seite 8) ein sachkundiger Aufsatz von Professor Dr. Thomas Sauerland nachzulesen.

Irgendwie schade um die griffige Actus-Contrarius-Theorie. Vielleicht sollte man für politisch generierte Rechtsakte, die den kurzen Halbwertszeiten von Umfragemehrheiten ausgesetzt sind, im Grundgesetz eine Art „Scheidungsrichter“ vorsehen?

Dr. Alexander Konzelmann, Komm.ONE AöR

DE, Stuttgart

Jurist. Compliance Officer

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