Genetic Diagnosis in Occupational Medicine - Do we Want It?
Genetic Diagnosis in Occupational Medicine - Do we Want It?

Genetic Diagnosis in Occupational Medicine - Do we Want It?

Vortrag, Deutsch, DeutscheGesellschaft für Humangenetik

Autor: Dr. Mathias Dietrich

Erscheinungsdatum: 2002

Quelle: Jahrestagung 2002 der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik


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DeutscheGesellschaft für Humangenetik

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Gendiagnostik in der Arbeitsmedizin – Wollen wir das?

Die Arbeitsmedizin befasst sich neben ihren zahlreichen primärpräventiven Aufgaben in der Gestaltung der Arbeitsbedingungen in einem weiteren Schwerpunkt mit Untersuchungen der Beschäftigten. Diese Untersuchungen verfolgen 3 Ziele:

1. Früherkennung schädigender Einflüsse der Arbeit

2. Erkennen von Gesundheitsstörungen, die Gefährdungen Dritter begünstigen

3. Erkennen individueller Disposition zu im Arbeitskontext relevanten Erkrankungen

Die Beurteilung in allen drei Fällen stellt immer eine Risikoabschätzung dar als Synthese aus den bekannten Belastungen des Arbeitsplatzes und der individuellen Belastbarkeit, ermittelt aus der aktuellen Untersuchung. Sie erfolgt in Form einer mittelfristigen Prognose über einen Zeitraum von ein bis fünf Jahren, je nach Fragestellung. In allen Fällen ist das Ziel, die Beschäftigten oder deren Kollegen vor Gesundheitsschäden durch die Arbeit zu schützen.

In diesem Zusammenhang fragt die Arbeitsmedizin schon seit Jahrhunderten nach genetischen Prädispositionen – man nannte es seinerzeit nur anders. Junge Leute aus Asthma-Familien kamen nicht in den Bergbau unter Tage, Thalassämie-Patienten konnten nicht in Schwermetallhütten oder Akkumulatorenwerken beschäftigt werden. Heute wissen wir mehr und die Palette ist breiter geworden, z.B.:

  • Familiäre Innenohrschwerhörigkeit begünstigt Lärmschwerhörigkeit
  • α-1-Antitrypsinmangel verbietet jede berufliche Erhöhung des Atemwegswiderstandes
  • Atopische Diathese verursacht große Probleme im Friseur-, Bäcker- und Maurerhandwerk 

Diese genetisch bedingten Krankheitsbilder, die wir über ihre phänotypische Ausprägung erkennen oder anhand ihrer Genprodukte, sind sicher nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was bei verfeinerter Diagnostik auf der Genomebene erkennbar wäre. Hier setzt die Arbeitsmedizin große Hoffnung auf die Weiterentwicklung der Humangenetik. Obwohl genomanalytische Untersuchungsmethoden in der praktischen Arbeitsmedizin heute noch nicht angewendet werden, ist doch eine wesentlich höhere Treffsicherheit der betriebsärztlichen Aussage zu erwarten, wenn dieses einmal möglich wird. Dies, und nur dies, ist keine genetische Diskriminierung, sondern Unterstützung bei der Lebensplanung.

Diesen positiven Folgen verbesserter gendiagnostischer Möglichkeiten stehen Risiken gegenüber. Es ist denkbar, daß von Arbeitgeberseite nicht nur gefragt wird nach dem Individualrisiko gegenüber betrieblichen spezifischen Belastungen, sondern nach dem Lebens-Erkrankungs-Risiko überhaupt. Personalpolitik kann durchaus wichtige Entscheidungen abhängig davon machen, ob der betroffene Mitarbeiter gesundheitlich „zuverlässig“ erscheint oder nicht.

Man könnte den Eindruck gewinnen, daß es sich hierbei um ein fernes Zukunftsszenario handelt ohne aktuelle Relevanz. Was die Anwendung genanalytischer Methoden angeht, trifft das sicher zu. Aber im weniger konkreten Rahmen ist diese Fragestellung schon seit Jahren Realität. Sportlich aktive Bewerber z.B. werden oft vorgezogen, weil man sich von deren gesunder Lebensweise etwas verspricht. Später werden sie als Mitarbeiter besonders gerne zur Fortbildung geschickt, denn eine solche Investition soll sich möglichst lange rentieren und nicht plötzlich durch Krankheit oder Invalidität wertlos gemacht werden. In Süddeutschland gibt es ein großes Unternehmen, welches in fast missionarischer Weise seinen Mitarbeitern Vollwertkost nahebringt, auch in der eigenen Kantine. Man mag darüber lächeln, es zeigt aber die Zielrichtung.

Wenn nun überdies die Auswahl „gesundheitlich vielversprechender“ Menschen technisch leichter und obendrein genauer wird, wird man nicht lange auf den Ruf nach Anwendung solcher Methoden warten müssen.

Die Praxis würde dann so aussehen, daß ein aktuell gesunder Mensch nicht eingestellt wird, weil er Träger eines genetischen Merkmals ist, welches vielleicht in 30 Jahren Symptome und damit Krankheitsausfälle erzeugen wird.

Wo ist der Unterschied zu den eingangs geschilderten Fragestellungen? Hier wird nicht gefragt, ob der Beschäftigte (der ja noch kein „Patient“ ist) durch die Arbeit beschleunigt oder schwerer erkranken kann, sondern ob er tätigkeitsunabhängig irgendwann erkrankt und hierdurch Kosten und Organisationsprobleme verursacht. Nehmen wir als Beispiel eine Chorea Huntington. Der Merkmalträger ist bis etwa zum 30. Lebensjahr oder länger vollkommen gesund, ausbildungsfähig, leistungsfähig. Es gibt keine Tätigkeit, in der er erhöhter Gesundheitsgefahr ausgesetzt wäre. Dann aber beginnt die symptomatische Zeit mit Störungen der Arbeitsabläufe, Krankheitsfehlzeiten, schließlich Berentung.

Ein Arbeitgeber, der sich für diese Fragen interessiert, wird sich natürlich zuerst an seinen Betriebsarzt wenden, sodaß dieser hiervon zuerst Kenntnis erhält. Unser Verband sieht es allerdings nicht als Aufgabe der Arbeitsmedizin an, eine Art Frühfilter zu setzen, durch den derartige Entwicklungen von den Unternehmen ferngehalten werden. Dies übrigens in Übereinstimmung mit dem Gesetzgeber, konkretisiert im Arbeitssicherheitsgesetz. Genetische Krankheitsdispositionen, die durch Arbeitsbedingungen nicht beeinflusst werden, können nicht Gegenstand der betriebsärztlichen Diagnostik sein.

Bis zur funktional wirksamen Ausprägung von Krankheitssymptomen ist ein betroffener Beschäftigter gesund und somit gleich zu betrachten wie andere Gesunde. Dann beginnt eine mehr oder weniger lange Phase der Behinderung, in der es Aufgabe des Arbeitsmediziners ist, behindertengerechte Arbeitsbedingungen zu schaffen bis zur evtl. notwendigen Berentung.

Genom-Diagnostik sehen wir Arbeitsmediziner daher unter zwei Blickwinkeln:

Dient sie der zuverlässigeren Bewertung von individuellen Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz, verdient sie hohes Interesse und weite Verbreitung.

Dient sie belastungsunabhängig nur der Prädiktion eines Gesundheitsknicks in der Biographie, lehnen wir sie ab.

Diese einheitliche Auffassung unseres Verbandes und seiner Mitglieder kann nicht verbindlich sein für die Betriebsärzte, die nicht unsere Mitglieder sind. Der VDBW wird aber seinen Einfluss in allen relevanten Gremien geltend machen, um diese Zielrichtung breit durchzusetzen. Hierbei werden auch spezifische Qualitätssicherungsinstrumente hilfreich sein.

Dr. Mathias Dietrich

DE, Oldenburg

Arbeitsmedizinischer Dienst Oldenburg

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