Lebensarbeitszeitkonten als Bestandteil eines krisenfesten Arbeitszeitmodells
Lebensarbeitszeitkonten als Bestandteil eines krisenfesten Arbeitszeitmodells

Lebensarbeitszeitkonten als Bestandteil eines krisenfesten Arbeitszeitmodells

Beitrag, Deutsch, 4 Seiten, Lohn + Gehalt

Autor: Dr. Burkhard Scherf

Erscheinungsdatum: 01.12.2009

Quelle: Lohn+Gehalt spezial, Dezember 2009

Seitenangabe: 22-25


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Lebensarbeitszeitkonten als Bestandteil eines krisenfesten Modells der Arbeitszeitgestaltung

Zeitwertkonten werden heute meistens diskutiert unter den Aspekten der Administration von Wertguthaben, der Insolvenzsicherung oder der Abwicklung von Störfällen. Im Vergleich dazu kommen die Fragen, wie ein normal verdienender Arbeitnehmer sein Zeitwertkonto mit ausreichendem Volumen füllen kann und wie Lebensarbeitszeitkonten gestaltet sein müssen, damit sie auch für das Unternehmen betriebswirtschaftlich sinnvoll sind, in der Diskussion häufig zu kurz. In diesem Beitrag sollen gerade diese Fragen diskutiert werden und dies vor dem Hintergrund eines Arbeitszeitmodells, das sich auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten bewährt, wie wir sie derzeit erleben.

Warum sind Lebensarbeitszeitkonten überhaupt attraktiv?

Lebensarbeitszeitkonten (LAZ-Konten) sind im wesentlichen aus drei Gründen für Unternehmen und Mitarbeiter attraktiv:
1. Für die Unternehmen liegen die wirtschaftlichen Vorteile von Lebensarbeitszeitkonten hauptsächlich darin begründet, dass hierdurch den Folgen der demografischen Verän¬derung vorgebeugt werden kann. Durch das steigende Durchschnittsalter der Belegschaften drohen steigende Krankheitskosten und Produktivitätseinbußen. Vor diesem Hintergrund sind LAZ-Konten die kosten¬güns¬tigste Vorruhestandslösung, da hierbei der Mitarbeiter einen wesentlichen Teil zur Finanzierung des Vorruhestands selbst mit einbringt.
2. Für Mitarbeiter sind LAZ-Konten in der Regel ebenfalls attraktiv, weil sie einen Ausweg davor bieten, bis zum Alter von 67 in Vollzeit beruflich tätig sein zu müssen und dies ggf. auch dann, wenn bereits gesundheitliche Beeinträchtigungen vorliegen. Je nach Ausgestaltung des LAZ-Modells wird es von Mitarbeitern zudem als attraktiv empfunden, wenn es z.B. zur Finanzierung von Elternzeiten, Pflegezeiten oder Sabbaticals dienen kann.
3. Weil LAZ-Konten von Mitarbeitern meist als attraktiv eingestuft werden, helfen Sie den Unternehmen, sich als attraktiver Arbeitgeber zu profilieren. Und dies wird angesichts eines sich weiter verstärkenden Mangels an qualifizierten Mitarbeitern immer wichtiger.

LAZ-Konten müssen wesentlich aus Arbeitszeit gespeist werden

Was häufig in der Diskussion um LAZ-Konten übersehen wird, ist aber, dass sie überwiegend aus Arbeitszeit gespeist werden müssen, wenn sie ihren Zweck – einen Beitrag zur Lösung des Demografieproblems zu leisten – tatsächlich erfüllen sollen. Denn: Die Probleme, dass Mitarbeiter nicht uneingeschränkt bis zum Alter von 67 arbeiten können, werden sich vor allem bei den Mitarbeitern in den niedrigen Entgeltstufen auswirken. Und für diese Mitarbeitergruppe kommen Zuführungen in Geld zum LAZ-Konto höchstens in kleinen Anteilen in Betracht. Das heißt: Gerade bei den Mitarbeitern, bei denen Vorruhestandslösungen für die Unternehmen die größte Bedeutung haben, können LAZ-Konten im wesentlichen nur aus Arbeitszeit gespeist werden.

Damit befinden sich die LAZ-Konten aber im Wettstreit um die Ressource Arbeitszeit mit den betrieblich genutzten Zeitkonten, die ja seit Flexi II erfreulicherweise klar von Zeitwertkonten abzugrenzen sind. Aus betrieblicher Perspektive dienen Zeitkonten zunächst einmal der Anpassung der Arbeitszeiten an die jeweilige Bedarfssituation – und nicht einer demografischen Vorsorge. Im Sinne der betrieblichen Arbeitszeitsteuerung geht es also um die Synchronisierung von Personalbedarf und Personalverfügbarkeit.

Diese Synchronisierung muss auf unterschiedlichen zeitlichen Ebenen erfolgen. Auf der kurzfristigen Ebene sprechen wir z.B. von Jahresarbeitszeitkonten, über die saisonale Bedarfszyklen oder andere kurzfristige Bedarfsschwankungen ausgeglichen werden.

Ebenso wichtig – und das wird heute meist übersehen – ist eine solche Synchronisierung in der längerfristigen Perspektive. Damit entsteht auch der Bezug zur Krisenfestigkeit eines Arbeitszeitmodells. Die aktuell erlebte Rezession hebt sich ja nur dadurch von früheren Konjunkturtälern ab, dass sie besonders schnell erfolgte und einen besonders tiefen Einschnitt brachte. Die Tatsache konjunktureller Wellenbewegungen an sich ist aber absolut nichts ungewöhnliches (siehe Abbilddung 1). Dennoch ereilt sie die Unternehmen meist unvorbereitet. Die Folgen sind zunächst Kosten des Personalaufbaus im Aufschwung: Mitarbeiter müssen akquiriert werden, es entstehen Kosten durch temporäre Unterbesetzung, die neuen Mitarbeiter sind anfangs noch nicht voll produktiv und binden zusätzlich für ihre Einbindung Kapazitäten der besten und erfahrensten Mitarbeiter. Wenn dann der Abschwung kommt, entstehen wiederum Kosten zunächst durch temporäre Überbesetzungen, Sozialpläne, den Verlust der falschen Mitarbeiter und durch die in diesem Prozess erzeugte Unruhe im ganzen Unternehmen. Und wenn es dann schließlich wieder aufwärts geht, zeigt die Krise noch Spätfolgen, indem einige der guten und mobilen Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, weil durch den Personalabbau in der Krise ihre Loyalität zum Unternehmen erschüttert wurde.


Abb. 1: Kosten zyklischen Personalauf- und -abbaus

All dies wäre vermeidbar durch die Nutzung von Langzeitkonten (in dieser Funktion auch als „Beschäftigungssicherungskonten“ zu bezeichnen), auf denen im Aufschwung Arbeitsstunden für schlechte Zeiten angespart werden, die dann in der Krise wieder abgebaut werden, so dass dieser zyklische Personalauf- und –abbau und die damit verbundenen Kosten weitgehend vermieden werden können.

Damit ergibt sich dann die Situation, dass in einem Arbeitszeitmodell, das sowohl LAZ-Konten im Sinne der demografischen Vorsorge umfasst, als auch kurz- und langfristig orientierte betrieblich genutzte Zeitkonten, möglicherweise drei verschiedene Zeitkonten um die gleiche Ressource Arbeitszeit konkurrieren. Dies kann nur funktionieren, wenn es hierzu klare und sinnvoll gefasste Spielregeln für die Nutzung der Zeitkonten gibt. Mit diesen Spielregeln sind Antworten auf folgende Fragen gemeint:
• Welche Zeitguthaben werden welchem Konto zugeschrieben? Die Mitarbeiter würden am liebsten stets alles auf ihrem LAZ-Konto sehen, für das Unternehmen haben aber die betrieblichen Zeitkonten die gleiche Bedeutung.
• Wann wird von welchem Zeitkonto abgebucht? Sprechen wir über eine saisonale Schwankung, so dass Minderarbeit vom Jahresarbeitszeitkonto abgebucht wird, oder über einen langjährig marktkonjunkturellen Effekt, so dass eine Abbuchung vom Beschäftigungssicherungskonto erfolgt?
• Und welche Ankündigungsfristen gibt es, insbesondere für die Entnahme vom LAZ-Konto – denn aus Sicht des Unternehmens muss vermieden werden, dass ein Mitarbeiter sich von heute auf morgen für längere Zeit aus der Organisation verabschiedet.

Diese Spielregeln müssen wesentlicher Bestandteil der Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitgestaltung sein. Ein im Sinne der demografischen Vorsorge wirksames Zeitwertkontenmodell kann also nicht losgelöst von den Arbeitszeitvereinbarungen definiert werden. Wichtige Komponenten der benötigten Regelung sind dabei die Größe des zulässigen Korridors für das Jahresarbeitszeitkonto, das angestrebte Volumen des Beschäftigungssicherungskontos und die Gestaltung des LAZ-Kontos, das ja auch für die Mitarbeiter attraktiv gestaltet sein soll.

Ein Beispiel für ein krisenfestes Modell von Zeitkonten

Wie kann man sich ein solches Modell unterschiedlicher Zeitkonten im Zusammenspiel vorstellen? Hier ein Beispiel (siehe Abbildung 2): Zunächst gibt es ein Jahresarbeitszeitkonto für den Ausgleich saisonaler Schwankungen. In unserem Beispiel ist dies auf plus/minus 80 Stunden begrenzt. Wird die Obergrenze von 80 Stunden überschritten oder gibt es Einmaleffekte (z.B. Projekte oder einzelne Großaufträge, deren zusätzliche Arbeitsstunden nicht sinnvoll im laufenden Jahr wieder abgebaut werden können), so werden diese Stunden dem Beschäftigungssicherungskonto zugeschrieben. Mehr- oder Minderbeschäftigung, die sich aus einer mehrjährigen marktkonjunkturellen Entwicklung ergibt, wird ebenfalls über das Beschäftigungssicherungskonto ausgeglichen. Dabei obliegt es der Geschäftsführung festzulegen, in welchem Umfang (innerhalb eines vorgegebenen Korridors der Wochenarbeitszeit) eine Zuführung oder Abbuchung vom BS-Konto erfolgt. Erst wenn das BS-Konto sein Zielvolumen erreicht hat, werden weitere Plusstunden dem LAZ-Konto gutgeschrieben. Daneben sind auch andere Einbringungen in das LAZ-Konto möglich.


Abb. 2: Beispiel für ein krisenfestes Arbeitszeitmodell mit Nutzung von LAZ-Konten

Dies wäre also ein krisenfestes Modell der Arbeitszeitgestaltung unter Einbeziehung von LAZ-Konten.

„Wie viel Krise“ kann ein solches Modell auffangen?

Betrachten wir ein Zahlenbeispiel für die Nutzung von Langzeitkonten in einer Krisensituation (siehe Abbildung 3). Wir gehen von einem Unternehmen mit einer 38-Stunden-Woche aus, bei dem wir zum Zeitpunkt der Einführung eines Langzeitkontos eine ausgeglichene Personaldecke annehmen – es sind also genau so viele Mitarbeiter beschäftigt, wie benötigt werden.

Abb. 3: Beispiel für die Nutzung von Langzeitkonten

Nun kommen zwei konjunkturell starke Jahre. Im ersten Jahr steigt dadurch der Personalbedarf im Durchschnitt um 3%, im zweiten Jahr um 4%. Es wird aber kein zusätzliches Personal aufgebaut, sondern statt dessen die Wochenarbeitszeit entsprechend angehoben. Dies führt im ersten Jahr zu einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 39,1 Stunden, im zweiten Jahr sind es dann 40,7 Stunden. Im Durchschnitt hat dann jeder Mitarbeiter ein Guthaben von 176,9 Stunden auf seinem Langzeitkonto.

Wenn dann im nachfolgenden Jahr der Personalbedarf durch einen Umsatzeinbruch um 10% nachlässt, kann dies durch eine Reduktion der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit auf 36,6 Stunden ausgeglichen werden. Am Ende eines solchen Jahres hätten die Mitarbeiter im Durchschnitt noch immer 114,1 Stunden auf ihrem Langzeitkonto. Auch ein zweites solches Jahr wäre also noch komplett über das Langzeitkonto auszugleichen.

Nehmen wir als zweites Szenario einen noch stärkeren Einbruch der Nachfrage, bei dem der Personalbedarf sogar um 20% sinkt. Dies würde dann ein Absenken der wöchentlichen Arbeitszeit auf im Durchschnitt 32,6 Stunden erforderlich machen, nach einem Jahr hätten die Mitarbeiter dann im Durchschnitt ein Minus von 73,1 Stunden auf dem Langzeitkonto.

Natürlich sprechen wir hier nur über Durchschnittswerte und die Realität ist immer noch etwas vielschichtiger und komplizierter. Aber was man hieraus durchaus erkennen kann, ist, dass schon zwei gute Jahre genügen, um über ein Langzeitkonto Vorsorge zu treffen für den nächsten konjunkturellen Einbruch. Und dass man mit einem solchen Langzeitkonto durchaus ein ganzes Jahr überbrücken kann, ehe man überhaupt über Kurzarbeit oder Stellenabbau nachdenken muss.

Welche Freistellungszeiträume können durch ein LAZ-Konto erreicht werden?

Eine weitere wichtige Frage bei der Betrachtung von Lebensarbeitszeitkonten ist, welche Guthaben sich realistischerweise durch die Einbringung von Arbeitszeit ansparen lassen und welche Freistellungszeiträume sich daraus ergeben. Von Kritikern der Zeitwertkonten wird ja immer wieder einmal postuliert, dass ohne Geldeinlagen keine Guthaben in der erforderlichen Größenordnung aufgebaut werden könnten.

In Abbildung 4 sind drei Kurven dargestellt, die unterschiedlichen durchschnittlichen Einbringungsmengen in ein Lebensarbeitszeitkonto entsprechen: Eine, zwei bzw. drei Stunden im Durchschnitt pro Arbeitswoche. Wir gehen in diesem Beispiel weiter davon aus, dass sich das Guthaben mit 2% oberhalb der durchschnittlichen Lohnsteigerung verzinst und dass der Arbeitgeber beim Eintritt in den Vorruhestand das Wertguthaben des Mitarbeiters mit 20% bezuschusst (das ist übrigens nur ein Bruchteil dessen, was in einem typischen Altersteilzeitmodell an Zuschüssen durch den Arbeitgeber erforderlich ist).

Abb. 4: Beispielrechnung für Freistellungszeiträume aus LAZ-Konten

Die Abbildung zeigt, dass nach 10 Jahren die Freistellungszeiträume noch relativ gering sind – das LAZ-Konto ist ein nur langfristig wirksames Instrument. Nach 20 Jahren liegen wir dann in der Größenordnung zwischen einem und drei Jahren der vollständig aus dem LAZ-Konto finanzierten Freistellung, nach 30 Jahren kämen wir in den Bereich von ca. 1,8 bis 5,4 Jahren. Langfristig lassen sich also auch über kleine wöchentliche Einbringungsmengen relevante Freistellungszeiträume erwirken. Natürlich würde das Bild noch attraktiver, wenn es eine weitergehende Bezuschussung durch den Arbeitgeber gibt oder der Mitarbeiter auch Entgelt oder Urlaubstage in das Konto mit einbringt.

Fazit

• Lebensarbeitszeitkonten können in der Fläche einen wichtigen Beitrag zur Lösung der demografischen Probleme dann – aber nur dann – leisten, wenn sie auch eine Einbringung in Zeit ermöglichen.
• Damit solche Einbringungen aus Arbeitszeit in der Praxis funktionieren können, müssen LAZ-Konten in eine sinnvolle Gesamtlösung mit betrieblich genutzten Kurz- und Langzeitkonten gebracht werden.
• Ein solches Modell miteinander integrierter Zeitkonten mit unterschiedlichen Nutzungszwecken hat darüber hinaus den wichtigen Vorteil weitgehend krisenfest zu sein, denn es ermöglicht die Anpassung des Personaleinsatzes an sehr unterschiedliche Auslastungs¬situa¬tio¬nen – und dies ohne Kurzarbeit oder Stellenabbau. Wir reden also über ein im besten Sinne des Wortes nachhaltiges, krisen- und demografiefestes Arbeitszeitmodell.

Dr. Burkhard Scherf

DE, Uedem

Geschäftsführender Partner, SSZ Beratung

Dr. Scherf Schütt & Zander GmbH

Publikationen: 10

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