Die strafrechtliche Rechtfertigung individueller Heilversuche und das Verhältnis von § 34 StGB zu § 21 Abs. 2 Nr. 6 AMG
Die strafrechtliche Rechtfertigung individueller Heilversuche und das Verhältnis von § 34 StGB zu § 21 Abs. 2 Nr. 6 AMG

Die strafrechtliche Rechtfertigung individueller Heilversuche und das Verhältnis von § 34 StGB zu § 21 Abs. 2 Nr. 6 AMG

Beitrag, Deutsch, 8 Seiten, C. H. Beck Verlag oHG

Autor: Dr. Adem Koyuncu

Herausgeber / Co-Autor: Co-Autoren: Karsten Fehn, Catia Meyer

Erscheinungsdatum: 2014

Quelle: Pharma Recht

Seitenangabe: 91-98


Aufrufe gesamt: 1625, letzte 30 Tage: 2

Kontakt

Verlag

C. H. Beck Verlag oHG

Telefon: +49-89-38189-0

Telefax: +49-89-38189-398

Preis: kostenlos

Bezugsquelle:



Aus der Einleitung des Aufsatzes:



A. Einleitung und Fragestellung

Der individuelle Heilversuch wirft eine Vielzahl juristischer Fragen auf, deren Praxisrelevanz mit der großen medizinischen Bedeutung dieser Behandlungsmaßnahme korreliert. Zwischen der Entdeckung eines neuen Arzneimittels bis zu seiner Zulassung und Verfügbarkeit für Patienten liegen häufig viele Jahre. Daraus ergibt sich für Patienten mit bis dato nicht oder nicht ausreichend behandelbaren Krankheiten ein Bedürfnis, schon vor Zulassung eines Arzneimittels die Therapie mit diesem zu versuchen. Dies wirft für Pharmaunternehmen die Frage nach der Zulässigkeit bzw. Strafbarkeit der Abgabe des nicht zugelassenen Arzneimittels auf. Aus Sicht der für das Unternehmen handelnden Personen steht dabei § AMG § 96 Nr. 5 AMG im Mittelpunkt, wonach das Inverkehrbringen eines Fertigarzneimittels ohne die erforderliche Zulassung strafbar ist.

Nach bisheriger – zutreffender – Rechtsauffassung konnte die Abgabe eines noch nicht zugelassenen Arzneimittels an einen „austherapierten” Patienten unter Berufung auf die Grundsätze des individuellen Heilversuchs und gestützt auf den Rechtfertigungsgrund des rechtfertigenden Notstandes gem. § 34 StGB StGB erfolgen. Der Begriff des individuellen Heilversuches ist bisher nicht gesetzlich definiert.

Mit der 14. AMG-Novelle hat der Gesetzgeber mit § AMG § 21 Abs. AMG § 21 Absatz 2 Nr. 6 AMG in Umsetzung des Art. 83 der VO (EG) Nr. 726/2004 eine Regelung zum Compassionate Use (wörtlich: Anwendung aus Mitgefühl) eingeführt. Schließlich wurde im Juli 2010 die Arzneimittel-Härtefall-Verordnung (AMHV) mit den Verfahrensregeln für Compassionate-Use-Programme (CUP) erlassen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich nunmehr die – in Rechtsprechung und Literatur bisher nicht im Einzelnen betrachtete – Frage nach dem Verhältnis von § 34 StGB StGB zu § 21 AMG Absatz 2 Nr. 6 AMG i.V.m. der AMHV. Konkret geht es darum, ob bei mehreren Behandlungsfällen nun die Vorschriften zum CUP als lex specialis die Berufung auf § 34 StGB und die Grundsätze des individuellen Heilversuchs ausschließen. In diese Richtung liest sich der aktuell hierzu veröffentlichte Leitfaden des BfArM.

Hierin vertritt das BfArM folgende Auffassung: „Sofern eine Abgabe eines nicht zugelassenen oder nicht geneh migten Arzneimittels …in der Vergangenheit bereits erfolgt ist und nun eine erneute Abgabe an eine andere Patientin oder Patienten mit der gleichen Indikation geplant ist, ist von einem Härtefallprogramm des § AMHV § 2 Abs. AMHV § 2 Absatz 1 AMHV auszugehen. […].” Hiernach sollen die Grundsätze des individuellen Heilversuchs und § 34 StGB StGB nur bei der erstmaligen Abgabe des nicht zugelassenen Arzneimittels anwendbar sein. Jede weitere Arzneimittelabgabe dürfte nur noch im Rahmen eines Härtefallprogramms erfolgen, also als CUP.

Diese Aussage des BfArM hat in der Praxis zu Verunsicherung geführt. Nachfolgend wird dargelegt, dass diese Auffassung und die von der Behörde unterstellte Exklusivität zugunsten des CUP rechtlich nicht zutreffend sind. Wenn diese Exklusivität tatsächlich bestünde, müssten alle Arzneimittelabgaben an mehr als einen Patienten als Teil eines CUP erfolgen. Hierdurch käme es zu einer Einschränkung der verfügbaren Arzneimittel für individuelle Heilversuche und der verfügbaren Therapieoptionen für ansonsten nicht mehr behandelbare Patienten.

Zu bedenken ist hierbei auch, dass die Voraussetzungen für die Abgabe eines Arzneimittels unter Berufung auf den rechtfertigenden Notstand gem. § STGB § 34 StGB weiter sind als bei § AMG § 21 Abs. AMG § 21 Absatz 2 Nr. 6 AMG. So verlangt § STGB § 34 StGB etwa nicht, dass der Patient an einer „lebensbedrohenden” Krankheit leidet.

Dieser Aufsatz geht daher der Frage nach, ob sich die verantwortlichen Personen eines Pharmaunternehmens bei der Abgabe eines nicht zugelassenen Arzneimittels für individuelle Heilversuche an mehrere Patienten gem. § AMG § 96 Nr. 5 AMG strafbar machen oder ob sie sich trotz Geltung des § AMG § 21 Abs. AMG § 21 Absatz 2 Nr. 6 AMG und der AMHV weiterhin auf einen rechtfertigenden Notstand gem. § STGB § 34 StGB berufen dürfen. Hierbei wird unterstellt, dass die individuellen Heilversuche durch den Arzneimittelhersteller  nicht durch Werbung oder ähnliche Maßnahmen gefördert werden, da dann regelmäßig von einer unzulässigen Umgehung der arzneimittelrechtlichen Vorschriften auszugehen wäre....

Dr. Adem Koyuncu

DE, Frankfurt a.M.

Partner

Covington & Burling LLP

Publikationen: 51

Veranstaltungen: 44

Aufrufe seit 08/2005: 9388
Aufrufe letzte 30 Tage: 18