Wie von selbst
Wie von selbst

Wie von selbst

Beitrag, Deutsch, 3 Seiten, Kinderschutzbund

Autor: Uwe Mock

Herausgeber / Co-Autor: Kinderschutzbund

Erscheinungsdatum: 2007

Seitenangabe: 22-24


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Kinder lernen – trotz Schule

Zuerst die gute Nachricht: „Jeder Mensch lernt dauernd. Wenn er ganz klein ist, erst recht.“ Mit dieser Botschaft begrüßte der Ulmer Gehirnforscher Prof. Manfred Spitzer seine Zuhörer bei einem Vortrag in Tuttlingen. Eigentlich, so denkt man, könnte dann ja nichts mehr schiefgehen. Dennoch scheinen uns die Ergebnisse der PISA-Studien eines Besseren zu belehren.

Was können wir tun, damit Kinder besser lernen? Wie können wir gezielt unterstützen – und welche Fehler machen wir möglicherweise dabei?

Unterschiedliche Lerntypen

Jeder Mensch hat zwar seine fünf Sinne, aber niemand benutzt diese fünf Verbindungen zur Außenwelt vollkommen gleichmäßig. Für das Lernen entscheidend sind nur drei der fünf Sinne: Sehen, Hören und Fühlen. Durch Erfahrungen aus der Kindheit nutzen die meisten Menschen einen dieser drei Sinne beim Lernen besonders intensiv. Je nachdem, ob ein Mensch den Lernstoff bevorzugt durch Sehen, durch Hören oder durch Fühlen wahrnimmt, spricht man vom visuellen, auditiven oder kinästhetischen Lerntyp. Kennen Sie den Lerntyp Ihres Kindes, so kann der Lernstoff passend aufbereitet werden. Damit wird dann der vom Gehirn bevorzugte Eingangskanal gezielt angesprochen – und das Gehirn bewertet die neuen Informationen als besonders wichtig.

Um herauszufinden, zu welchem Lerntyp ein Mensch neigt, genügt ein wenig Beobachtung. Zumeist verhält man sich nämlich automatisch dem eigenen Lerntyp entsprechend:

  • Visuelle Lerner sehen sich gerne Bilder, Diagramme und Filme an. Wenn sie sich Notizen machen, dann verwenden sie Farben, und häufig sind kleine Skizzen dabei. Auch in der Sprache findet man häufig Formulierungen, die mit dem Sehen zu tun haben: „Ich sehe das nicht ein.“ oder „Ich kann mir davon kein Bild machen.“

  • Der auditive Typ hört oder liest gerne. Er umgibt sich mit Büchern oder Hör-CDs. Manchmal sieht man, wie sich bei auditiven Lernern während des Lesens die Lippen bewegen. Auditive Lerner fühlen sich schnell gestört, wenn sie beim Lernen Lärm oder Musik ausgesetzt sind. In der Sprache finden wir ebenfalls typische Formulierungen: „Das hört sich komisch an.“ oder „Das sagt mir nichts.“

  • Dem kinästhetischen Lerntyp geht es im Wortsinn darum, die Dinge zu be-greifen. Dazu gehört es, Objekte anzufassen, sie in den Händen zu wiegen und zu sehen, wie sie sich bei Zug oder Druck verhalten. Kinästhetische Lerner verspüren oft den Drang, sich beim Lernen zu bewegen: Sie stehen auf, gehen umher – und benutzen beim Rechnen gerne die Finger. Auch Kaugummikauen kann Ausdruck einer kinästhetischen Ausrichtung sein. Sprachlich äußern sie sich wieder ganz entsprechend: „Können wir das nochmal durchgehen.“ oder „Jetzt bekomme ich ein Gefühl dafür.“

Diese drei Lerntypen sind natürlich eine Idealisierung. Kein Mensch entspricht zu 100% einem dieser Typen. Man ist immer ein Mischtyp, und die Mischung kann sich sogar je nach Situation ändern. Für Lehrer ist das eine schwierige Situation. Sie müssen in einer Klasse von 20 bis 30 Schülern herausfinden, wer im Moment welchem Lerntyp entspricht, und dann müssen sie für die passende Darbietung des Lernstoffs sorgen. Da haben Sie es zu Hause mit einem, zwei oder drei Kindern schon einfacher. Es ist zumeist nicht schwer, den passenden Eingangskanal zu finden, und im Zweifel kann man auch einfach ausprobieren.

Besonders wichtig ist es, auch Kinder für diese Unterschiede zu sensibilisieren. Das Kind sollte selbst verstanden haben, warum es manchmal weiterhilft ein Bild zu malen oder einfach aufzustehen und sich ein wenig zu bewegen. Genauso wichtig ist es, die Bevorzugung eines Eingangskanals niemals als Nachteil zu betrachten: Kommt ein Mitschüler mit einem Teil des Lernstoffs gut zurecht, Ihr Kind aber nicht – so ist an Ihrem Kind nichts verkehrt. Es ist der Lernstoff, der nicht auf die bevorzugten Eingangskanäle Ihres Kindes angepaßt ist! Häufig genügt es, den Stoff für einen anderen Eingangskanal aufbereitet anzubieten (z.B. durch ein anderes Buch, einen Videofilm oder ein Experiment), und schon versteht das Kind besser, worum es geht.

Training für Gehirn und Wahrnehmung

Da bei den meisten Menschen einer der Wahrnehmungskanäle stark bevorzugt wird, kann es sinnvoll sein, die Verarbeitung der auf anderen Wegen eintreffenden Reize im Gehirn zu trainieren. Das ist gar nicht schwer, und es macht sogar Spaß: Viele Spiele-Klassiker erledigen dieses Training nebenbei. Spiele wie „Memory“ oder „Ich seh' etwas, was Du nicht siehst“ trainieren die visuelle Wahrnehmung, „Scrabble“ oder „Stadt-Land-Fluß“ den auditiven Kanal. Für den kinästhetischen Eingangskanal empfehlen sich Spiele wie „Mikado“ oder die „Kim“-Spiele. Eine Spielekonsole wird dagegen kaum einen positiven Effekt haben, da sie das Gehirn mit Reizen geradezu überflutet – und auch die negativen Auswirkungen des Fernsehens auf Kinder sind uns heute wohlbekannt.

Das Gehirn als Wissens-Netz

Die Management-Trainerin Vera F. Birkenbihl vergleicht das Gehirn gerne mit einem Fischernetz. In Bereichen, in denen sich ein Mensch gut auskennt, ist das Netz sehr dicht verwoben. Dort bleiben neue Informationen sehr leicht hängen. An Stellen, wo das Netz aus nur sehr wenigen Fäden besteht, ist es eher unwahrscheinlich, daß eine neue Information einen Anknüpfungspunkt findet und hängenbleibt. Dieses Wissens-Netz ist bei jedem Menschen individuell geknüpft. Es besteht aus den Erfahrungen seit der frühesten Kindheit. Dabei kann das Gehirn auf häufig benutzte Verknüpfungen schneller zurückgreifen als auf Netzbereiche, die nur selten angesprochen werden.

Gerade bei Kindern ist es wichtig, das Wissens-Netz aufzubauen und die Verknüpfungen zwischen den einzelnen Informationen zu trainieren. Dabei kann man sich die natürliche Neugier der Kinder zunutze machen: Kinder saugen angebotene Informationen geradezu auf. Ermuntern Sie Ihre Kinder zu lesen, und seien Sie selbst Vorbild indem Sie auch mal wieder zu Büchern greifen. Es ist letztlich nicht unbedingt entscheidend, was Ihr Kind liest. Lesen hat immer einen Lerneffekt, da sich automatisch neue Informationen am Wissens-Netz anknüpfen. Nebenbei erlernt das Kind den Gebrauch seiner Muttersprache – oder später auch einer Fremdsprache, wenn es fremdsprachige Bücher lesen kann. Um immer mit Büchern versorgt zu sein, kann Ihr Kind von Freunden Bücher ausleihen; ein Bücherei-Ausweis sollte heutzutage sowieso zur Grundausstattung eines jeden Schülers gehören. Begleiten Sie Ihr Kind auch ruhig in die Bibliothek; bei dieser Gelegenheit sind Sie nicht nur Vorbild, sondern Sie finden sicher ebenfalls interessanten Lesestoff.

Lernen – eine positive Erfahrung

Mit einer positiven Einstellung funktioniert Lernen wie von selbst. Ein Kind, das auf diese Weise an den Schulalltag herangeht, kann die geeignetsten Lerntechniken durch eigenes Entdecken für sich herausfinden. Es gibt eine Reihe kindgerechter Bücher und Arbeitshefte, in denen man nachlesen kann, wie z.B. Mind Mapping oder eine Lernkartei funktioniert. Ihr Kind braucht dabei nicht zum Gedächtniskünstler zu avancieren – setzen Sie es also nicht unter Druck. Unterstützen Sie es einfach dabei, eine strukturierte Arbeitsweise mit individuell geeigneten Methoden herauszufinden. Dazu gehört auch, passende Lernzeiten und einen passenden Lernort zu finden – und auch die Entspannungsphasen danach und Belohnungen für besondere Erfolge sind wichtig. „Alles, was beim Lernen Freude macht, unterstützt das Gedächtnis.“ Diese Weisheit des Pädagogen Johann Amos Comenius aus dem siebzehnten Jahrhundert gilt auch heute noch!

„Jeder Mensch lernt dauernd.“ Diese Botschaft von Prof. Spitzer, die ich bereits eingangs zitiert hatte, ist eine große Chance für Ihr Kind. Gleichzeitig ist sie die größte Gefahr für Ihr Kind. Denn es lernt ebenso, wenn es im Fernsehen einen Teil der fast 2.000 Gewalttaten sieht, die dort täglich gezeigt werden. Und es lernt von Ihnen, indem es Ihr Verhalten beobachtet. Der Ausgangspunkt für lebenslanges zielgerichtetes und individuelles Lernen ist also nicht Ihr Kind – sondern Sie!

Uwe Mock

DE, Stuttgart

Lernen heute

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