Psychopatho-Logik. Rezensionen von renommierten Fach-Experten
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Kybernetik - Psychoanalyse - Kunst - Kreativität

Rezension, Deutsch, 6 Seiten, Daedalus Verlag

Herausgeber / Co-Autor: Volker Halstenberg

Erscheinungsdatum: 2011

Quelle: Volker Halstenberg


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Rezensionen von renommierten Fachexperten

Worum es ihm geht, sagt Halstenberg gleich im ersten Satz der Einleitung. „Vorliegendes Buch ventiliert Kunst, Kunstwerke und Künstler aus kybernetisch-psychoanalytischer Perspektive unter dem Tenor, dass alle psychischen Prozesse, die sich in künstlerischen – und anderen – Köpfen abspielen, egal wie abstrus oder krankhaft sie auf den ersten Blick erscheinen mögen, einen basalen Sinn haben: nämlich Selbststabilisierung und Selbstheilung. Dass also Kunstschaffen in seinen vielfältigen Facetten einen konstruktiven Weg darstellt, psychische und psychosomatische Instabilitäten oder ein aus den Fugen geratenes Selbsterleben in Ordnung zu bringen.“ (S. 8)

In Kapitel 1.3f stellt Halstenberg sein Konzept einer „Kybernetik der 2. Ordnung“ vor und klärt dazu Begriffe der Systemtheorie. Interessant ist, wie er dabei den Begriff der Wechselwirkung durch den der strukturellen Koppelung und der Co-Evolution ersetzt. Die Beispiele aus der Medizin wie aus der Kunst sind überzeugend und dokumentieren zirkuläre Prozesse. Halstenberg hat die Gabe, eine geistreiche Belesenheit aphoristisch einzusetzen, und veranschaulicht das Problem, um das es hier geht, mit Heraklits Aussage, dass auf dem Umfang des Kreises Anfang und Ende identisch sind.

Nun zur Systemevolution, die durch Zunahme an Komplexität und Differenzierung gekennzeichnet ist. Eine Komplexitätsfolge besteht in der Bildung von Subsystemen und in der „eigensinnigen Simplifizierung von Welt“ (S. 20), womit Halstenberg Informations-Reduktion, kurz sinn-gesteuerte Selektion meint. Im Autopoiesiskonzept kommt schließlich die Selbstthematisierung eigener Strukturen zum Ausdruck, und auch dafür finden sich Beispiele in der Psychoanalyse und in der Kunst.
Selbstthematisierung ist Selbststeuerung. Sie lässt sich als neurobiologische Fähigkeit nachweisen wie als Kunstproduktion. Sie ist Kommunikation, worunter Halstenberg mit Luhmann die prozessierende Reproduktion der Unterscheidung von Mitteilung (Selbstreferenz), Information (Fremdreferenz) und Verstehen versteht (S. 24), und sie ist unwahrscheinlich – es sei denn, der Kommunikator konstruiert einen wahrscheinlichen Fremdzustand bei alter, der seinem ähnlich ist. Nur dann hätte er die Chance der Anschlusskontrolle. Das ist in knappen Worten der erste Schritt zu einer konstruktivistischen Hypothese.

Der zweite Schritt ist ebenso dicht und geistreich und in viele Wissenschaften ausgreifend beschrieben.
Halstenberg fragt, wie soziale und kulturelle Gemeinsamkeiten überhaupt möglich sind, wo es doch keine wirkliche Wirklichkeit gibt. Er wirft zwei Antworten hin: evolutionstheoretisch „mit kybernetischem Unterton: Der Mensch hat sich in Millionen von Jahren biologischer und affektlogischer Strukturkoppelung mit seinesgleichen und seiner Umwelt kommunikativ ausgesöhnt. Sozialpsychologische Antwort: Wir alle sind Kollektiv-Singularisten: Wir sind allein, ohne allein zu sein. Das, was wir wissen, wissen wir zumeist von anderen.“ (S. 27)

Das scheint Halstenberg Begründung genug zu sein, warum eine kybernetische Theorie die traditionelle Subjekt/Objekt-Unterscheidung aufgibt und den Beobachter in das Beobachtungsfeld einbezieht: die Kybernetik 2. Ordnung ist „eine Theorie der Beobachtung von Beobachtern“, und woran ließe sich das besser belegen als an der PA? Analytiker und Analysand beobachten sich und sich als Beobachter. Aber auch in der Psyche selbst kann Selbstbewusstsein als „re-entry der Differenz von Selbstreferenz und Fremdreferenz bzw. von Selbstbeobachtung und Fremdbeobachtung in die Selbstreferenz des Systems begriffen werden.“ Näher an der Sprache der PA: Das psychoanalytische Objekt ist ein polyvalenter Erlebnis- und Bedeutungskomplex, der erst im Interaktionskontext mit einem bestimmten ICH konkrete Formen annimmt. Und zurück zu der Frage der Systemtheorie: was ist es und was ist nicht? Mit Spencer Brown stellt sich die Frage, wo die Unterscheidung getroffen wird und wem sie sich verdankt. Für die Psychoanalyse heißt es, welche Seite der Unterscheidung beobachtet und bezeichnet werden kann, und für die Kunst ebenso. Halstenberg zitiert statt vieler Joyce: das Bild vor dem Hintergrund von Zeit und Raum, der dieses Bild nicht ist!
Ein Crossing von einer Seite der Unterscheidung zur anderen ist nur möglich, wenn ein neuer Differenzierungsfaktor eingeführt wird: Zeit. In der PA ist das z.B. die Verbindung von selbstgeschaffener Wirklichkeit und konditionierender Vergangenheit. (S. 30)

Mit dem Autopoiesiskonzept geht Halstenberg nun psychoanalytischen Grundfragen wie Realität, Triebstruktur, Wahrheit, Assoziation, Neurosen, Charakter oder Psychosen nach. Letztere inklusive Schizophrenie versteht er kybernetisch-psychoanalytisch so, „dass die Autopoiesis (…) entgegen ihrer ursprünglichen Funktion nicht nur mitläuft, sondern temporär oder permanent totalisierend wirkt, den Gesamtsinn absorbiert und abschließt von Umwelteinflüssen, anstatt zu öffnen.“ (S. 43) So bereitet er auch eine große These vor, die so lautet: Kognitiv-affektive Autopoietiken führen bei Schizophrenie zur Ausbildung neologischer Zeichen- und Sprachcodes, die gar nicht oder nur schwer decodierbar sind. (…) Kunstschaffen kann prinzipiell gedeutet werden als Versuch des pathologischen Systems, seine sinn-totalisierende Autopoiesis – seine rigide Abgeschlossenheit – in eine öffnende Autopoiesis, die eben nur mitläuft und nicht Gesamtsinn-absorbierend wirkt, zu überführen und damit eine selbstheilende Restrukturierung des Selbsterlebens einzuleiten.

Getreu seiner These, dass die Psychoanalyse als Kybernetik zu lesen ist, und dass das, was sie untersucht, auch die Kunst bewegt, kommt Halstenberg auf die binäre Codierung Lust/Unlust zu sprechen, die er in vielen künstlerischen Handlungen am Werk sieht. Er beginnt wieder mit dem Anfang, in dem „alles in Ordnung“ war, im Mutterleib: „Friede, Freude, Mutterkuchen.“ (S. 127) Das Lustprinzip galt total und wurde immer und sofort befriedigt. Und dann? „Aus und vorbei durch die Geburt. Das Geworfensein in die unbekömmliche Welt: nackt, ausgeliefert und vor allem: ungefragt. Wer will schon geboren werden?“ (ebd.) Das ist es, und – so muss man Halstenberg verstehen – manche Kunst strebt in diesen schönen Zustand zurück.
Auf die Frage eines Kunsttheoretikers, „ob ästhetischen Entscheidungen letztlich Stimmungen – also emotionale Erlebnisqualitäten – zugrunde liegen und ob diese der blinde Fleck systemtheoretischen Fragens sind“, antwortet er denn auch „zweimal mit ja“ und plädiert dafür, den Lust-Unlust- bzw. stimmig-unstimmig-Code zum zentralen ästhetischen Erlebens-Kriterium zu erheben.
Von dieser Antwort aus fällt es nicht schwer, Gewährsleute in Sachen Ästhetik zu zitieren. Augustinus, Dante, Thomas von Aquin oder Gehlen. Es ist die Freude an Ordnung und Symmetrie. Und doch ist das Gegenteil immer im Blick. So wusste Rilke, dass das Schöne „nichts als des Schrecklichen Anfang“ ist, und der „wahre Künstler ist jemand, der Gegensätze und Widersprüche verdeutlicht und zugleich vereint. Er ist ein homo ambiguus et syntheticus, und diese Eigenschaften machen ihn zwangsläufig zum kontingenz-bewussten Ironiker, zum Beobachter also, der sich selbst beobachtet; der bei allem, was er tut, und bei jeder Unterscheidung, die er setzt, stets weiß, dass alles immer auch ganz anders möglich ist.“ (S. 132) Das ist eine der Stellen, wo man sich wünscht, dem Autor bei der ersten Entwicklung seiner Gedanken hätte zuschauen können, um ihn noch mehr herauszufordern.
Halstenberg wendet sich dann „weiteren Funktionsmodi des psychischen Systems“ zu und gibt – unter der Maßgabe der strukturfunktionalen Latenz des Unbewussten – in einem Zwölfzeiler einen Abriss vom Spektrum des modernen Geschmacks: wer ihn hat, „trägt Zegna“, wer nicht, „hängt sich „lethargische Dackel von >Kaufhof’s< (…) an die Wand.“ (S. 135f) Nichts kommt von ungefähr, das Unbewusste drängt und konstruiert. Die „retroflexive Affektlogik“ ist auch im Kunstschaffen am Werk. Beispiel Hitchcock („als sechsjähriger Ödipus“), Beispiel Poe („sadonekrophile Veranlagung“), Beispiel Dostojewski (dessen psychischem „Algorithmus >Schuld – ÜBER-ICH-Sadismus – ICH-Masochismus –Somatisierung – Gewissensentlastung< (…) in Sibirien die energetische Basis entzogen“ wurde), Beispiel Hölderlin (auf einer propellierenden Nicht-Unterscheidung beruhende Schizophrenie). (alle Zitate S. 141ff) Wieder ins Theoretische und ins Allgemein-Menschliche gewendet: „Wir alle sind historische Maschinen (von Foerster), funktionieren und operieren gemäß struktur-geschichtlicher Eigensinnigkeit oder eigensinniger Strukturgeschichte.“ (S. 147)
Das dritte Kapitel ist überschrieben: „Kunst-Interpretation: Kybernetisch-psychoanalytisch. Sechs Fallbeispiele.“ Hier geht es um Shakespeare (King Lear), Freud im Surrealismus, Marc Chagall, René Magritte, Kino-Film und Werbe-Kommunikation.
Alles brennt wie ein Feuerwerk ab, man staunt, wendet ein und kommt doch auf seine Kosten."
Prof. Dr. Dr. Heinz Abels

„Das Buch ist nach Form und Inhalt selbst ein Kunstwerk.“
Prof. Dr. Peter Kutter

„Ich bin beeindruckt von der Fülle des Materials, der anschaulichen Darstellung und unserer grundsätzlichen Übereinstimmung über Kunst, die schon in den Leitsätzen zum Ausdruck kommt.“
Prof. Dr. Leo Navratil


„Ein Buch für alle Querdenker mit einem Faible für Interdisziplinäres. Ein neuartiger interdisziplinärer Entwurf. Unterhaltsame und spannende Wissensvermittlung mit vielen anschaulichen Fallbeispielen aus Literatur, Malerei, Musik, Film, Theater, Werbung. Das alles geschrieben in einer erfrischend klaren und kraftvollen Sprache. Dr. Volker Halstenberg bringt Psychoanalyse und Kybernetik auf innovative Weise zusammen, auf das sie miteinander verschmelzen und sich gegenseitig befruchten. Ein Muss für Analytiker, Therapeuten, Trainer, Manager oder Kulturschaffende, die für die Stimulationen der Kunst empfänglich sind. Das Lesen war wie das Betreten eines Puder-Raums in einem Rokoko-Schloss. Für einen Moment ist nichts mehr zu sehen, doch dann fällt es einem wie Schuppen von den Augen.“
Dr. Joachim Bröcher


„An den vielfältigen Betrachtungen über Kunst beeindrucken besonders die Gedanken über Gegensatz, Kontrast und Polarität als Ursprung von Spannung und Kreativität.“
Dr. med. Claudia Sies


Die Psyche als System – Psychische Phänomene und ihr Ausdruck in der Kunst aus kybernetisch-psychoanalytischer Sicht
von Sarah Bergmann (Zeitschrift für Kultur- und Kommunikationspsychologie)

"Seit der Erfindung der Psychoanalyse durch Sigmund Freud vor ungefähr einem Jahrhundert wurde diese in viele Richtungen weiterentwickelt. Man denke zum Beispiel an die Individualpsychologie von Alfred Adler, die Urschrei-Therapie von Arthur Janov, die Bioenergie-Lehre von Wilhelm Reich oder die strukturalistische Psychoanalyse von Jacques Lacan. In seinem 2003 im Daedalus-Verlag erschienenen Buch “Psychopatho-Logik” (217 S.; 24, 80 €) stellt Dr. Volker Halstenberg einen neuen Ansatz vor: kybernetische Psychoanalyse.

In Halstenbergs kybernetischer Psychoanalyse wird die Psyche als autopoietisches System verstanden, das sich seine eigene Welt kreiert. Halstenbergs radikal konstruktivistische These lautet: “Autopoietisches Selbstmachen i. S. individueller Selbstkonstruktion psychischen Erlebens bedeutet, dass jeder seiner kognitiv-affektiven Eigenwelt Schmied ist, dass es folglich keine objektive Wirklichkeit und keine absolute Wahrheit gibt, sondern nur subjektive Wirklichkeits-Konstruktionen und subjektive Wahrheiten. Jeder Mensch sieht und erlebt die Welt anders und so tummeln sich über sechs Milliarden “Eigen-Welten” auf unserem Planeten.” (S. 25)

Das Gesamtsystem Psyche gliedert sich in mehrere Subsysteme, die jeweils nach ihren eigenen binären Leitcodes operieren: “Im ES als Haupt-Repräsentanten des Unbewussten und “Sitz” der Leidenschaften und Lebenstriebe heiβt der binäre Code: lustvoll/unlustvoll […]. ÜBER-ICH als eine Art innerer Richter, der über Zulässigkeit von Informationen bestimmt, orientiert sich an gut/böse bzw. zulässig/unzulässig. […] Schlieβlich orientiert sich das ICH […] mit seinen Primärfunktionen Sprechen, Denken, Planen und Handeln am Code: real/irreal.” (S. 37)

In “Psychopatho-Logik” erfährt man viel über die klassische Psychoanalyse. So wird auch die Entstehung der psychischen Subsysteme in ihren wesentlichen Zügen traditionell nach dem Freud’schen Modell erklärt:
In der sogenannten oralen Phase (bis Ende des ersten Lebensjahres) herrscht uneingeschränkt das ES. Das Baby strebt nach Lust, diese wird v. a. in der Nahrungsaufnahme und durch die Wärme und Geborgenheit, die der enge körperliche Kontakt mit der Mutter bietet, erfahren.
In der analen Phase (zweites und drittes Lebensjahr) entwickelt sich das ICH. Durch die intensive Beschäftigung mit dem Objekt Kot, dem ersten selbstgeschaffenen Produkt, und durch das willkürliche Ausscheiden und Zurückhalten desselben lernt das Kind “eine immer bessere Differenzierung von innen und auβen, ICH und Welt” (S. 51) und es lernt seinen eigenen Willen gegenüber der Welt zu behaupten.
In der dritten frühkindlichen Phase, die den Namen phallische oder genitale Phase trägt und im vierten bis sechsten Lebensjahr angesiedelt ist, entwickelt das Kind libidinöse Affekte gegenüber dem gegengeschlechtlichen Elternteil und Eifersuchts- und Haβgefühle gegenüber dem gleichgeschlechtlichen. In dieser Phase konstituiert sich durch Übernahme der Normen und Wertvorstellungen der Eltern das ÜBER-ICH. Dieses sorgt dafür, daβ die aggressiven Impulse gegenüber dem gleichgeschlechtlichen Elternteil von Schuldgefühlen und Strafphantasien (beim Jungen auch Kastrationsangst) begleitet werden.

Alle Systeme sind um Selbststabilisierung bemüht. Zur internen Selbststabilisierung der Psyche gehört wesentlich, daβ das ICH unerlaubte Triebe und Wünsche, traumatische Erlebnisse, sowie unerträgliche ÜBER-ICH-Forderungen ins Unbewuβte verdrängt. Die Abwehrmechanismen, die dem ICH dabei zur Verfügung stehen, werden in “Psychopatho-Logik” ausführlich beschrieben. Doch das ICH als Kybernetes (griech. Steuermann) der Psyche leistet noch weit mehr für das psychische Gleichgewicht; es kann verbotene Wünsche nicht nur verdrängen, sondern zum Teil auch völlig unschädlich machen: “Es “trimmt” ES-Impulse auf Sozial-Akzeptanz und neutralisiert dadurch Konflikte mit der Umwelt und dem ÜBER-ICH, sorgt damit letztlich wieder für lustvolle Homöostase.” (S. 128)
Stabilität gegenüber äuβeren Einflüssen erreicht die Psyche dadurch, daβ sie weitestgehend ignoriert, was nicht in ihre Strukturen paβt. “Autopoietische Systeme”, schreibt Volker Halstenberg, “zeichnen sich durch selbstreferentiell-zirkuläre Operativität und hochselektiven Austausch mit spezifischen Umwelten aus.” (S. 40) Auf diese Weise entsteht die “dynamische Stabilität” eines normalen Charakters. “Charakterstörungen dagegen”, heiβt es weiter, “sind Selbstreproduktionen von Eigenzuständen, die nicht zeitgemäβ evoluieren, sondern invariant auf einer unzeitgemäβen Betrachtung propellieren. Die zwangsneurotische Charakterstruktur e. c., die unter besonders pflegewütigen Automobil-Fetischisten zu erkennen ist, basiert auf der Omnipräsenz von Erlebens- und Verhaltensweisen, die in der analen Phase wurzeln.” (S. 43)
Wie aber kann dem gestörten Charakter, der sich gegenüber Umwelteinflüssen verschlieβt und kosequent auf seiner Eigenlogik beharrt, geholfen werden? Laut Halstenberg ist dies nur durch den “heilsamen Schock der Differenz” (S. 147) möglich. Nachdem sich der Therapeut so gut es geht in die Eigenwelt des Patienten eingearbeitet hat, fungiert er als Störer, durch “Irritation und Perturbation”gibt er den ersten Anstoβ zur Heilung, die “entscheidende Wandlung” muβ die kranke Psyche jedoch aus sich selbst heraus vollziehen. (S. 123 u. 194)

In “Psychopatho-Logik” werden viele verschiedene psychische Erkrankungen analysiert. Dabei kommen neben der kybernetischen Psychoanalyse oftmals auch verwandte Theorien aus anderen kulturellen Kontexten zu Wort. So beginnt Halstenberg seine Betrachtung der Melancholie beispielsweise mit einer Darstellung der antiken Humorallehre. Empedokles und Hippokrates vertraten die Auffassung “der menschliche Körper setze sich physiologisch aus vier Säften (quattuor humores) mit jeweils binären Eigenschaften zusammen: der Schwarzen Galle (kalt-trocken), der Gelben Galle (warm-trocken), dem Phlegma (kalt-feucht) und dem Blut (warm-feucht). […] Befinden sich die vier Säfte im harmonischen Gleichgewicht (Krasis) – hier zeigt sich die antike Humoralpathologie als Vorläufer des Homöostase-Konzepts –, ist der Mensch gesund; […] Melancholie entsteht durch entsprechende Mischung der Säfte unter Dominanz der Schwarzen Galle.” ( S. 58f.)
Psychoanalytisch betrachtet ist Melancholie ein Konflikt zwischen ICH und ÜBER-ICH, der bei Verlust einer geliebten Person (nicht im Falle deren Todes, sondern bei Trennung / Scheidung von ihr) entsteht. “Libido, die dem Objekt anhaftet, geht mit dem Verschwinden desselben nicht auf ein neues Objekt über, sondern wird […] ins eigene Ich zurückgenommen. Narzisstische Introjektion oder Inkorporierung des ambivalent besetzten (hassgeliebten) Objektes. Das ÜBER-ICH nun betrachtet jenes internalisierte Objekt als fremdartiges, äuβeres Ding, nicht zur Person gehörig, und […] möchte es am liebsten aus dem psychischen System hinauskatapultieren.” (S. 65)
Die kybernetisch-psychoanalytische Beschreibung dieses Konflikts lautet: “Psycho-System A steht mittels struktureller Koppelung mit Psycho-Syystem B in einer ambivalenten Kommunikationsbeziehung. B fällt faktisch aus, bleibt jedoch als Unsicherheitsfaktor im Gedächtnis von A präsent. […] A macht B in Form einer zweiwertigen (Liebe/Hass) Konstruktion zu einem integralen Bestandteil seiner Selbstorganisation ( = neue Substruktur). Dieser Integrationsversuch führt logischerweise zu Systemstörungen […]” (ebd.)
An dieser wie an einigen anderen Stellen kann sich die Frage aufdrängen, was man eigentlich dadurch gewinnt, daβ ein und derselbe Sachverhalt noch einmal mit kybernetischem Vokabular ausgedrückt wird. Man muβ sich dabei aber vor Augen halten, daβ es Volker Halstenberg nicht darum geht, die Psychoanalyse zu revolutionieren; laut Halstenberg war Freud im grunde selbst Kybernetiker (S. 8), und so besteht das wesentlich Anliegen von “Psychopatho-Logik” darin, Freuds kybernetische Vorstellungen explizit zu machen und durch Hervorhebung dieses systemtheoretischen Aspekts ein neues Licht auf die Vorgänge in unserer Psyche zu werfen.

In “Psychopatho-Logik” spielt die Kunst eine wichtige Rolle. In der Kunst sieht Halstenberg groβes Heilungspotential, denn zum einen kann der psychisch Erkrankte durch künstlerisches Schaffen seine Konflikte verarbeiten, sich Wut, Ängste, Trauer etc. von der Seele schreiben / malen / musizieren, und zum anderen findet der Analytiker in den Kunstwerken seines Patienten viele Hinweise darauf, wo dessen Probleme liegen. (S. 87)
Halstenberg (der neben Psychologie, Psychosomatischer Medizin, Psychoanalyse und Kommunikations-Wissenschaften auch Kunstgeschichte studiert hat) betätigt sich in “Psychopatho-Logik” selbst als Analytiker und stellt dar, was bestimmte berühmte Kunstwerke über die psychische Beschaffenheit und die Biographie ihrer Schöpfer verraten.
Bei seinen Kunstbetrachtungen nimmt Halstenberg aber nicht nur einzelne Werke, sondern auch ganze Kunstströmungen in den Blick und analysiert diese aus soziopsychologischer Perspektive. In seinem “Fallbeispiel Surrealismus” schreibt er: “Der Surrealismus entwickelte sich […] aus einer kollektiven Sinnkrise. […] Man stand im dritten Dezennium des 20. Jahrhunderts. Zeit des blühenden Industriekapitalismus. Der Mensch denaturierte zum gepeinigten Knecht einer seelenlosen Produktionsmaschinerie. Ratio-technoide Autokratie. Kein Platz für sinnlich-emotionale Lebensqualitäten. […] Zwangsläufige Folgen dieser schizoiden Lebensverbrämung waren […][q]ualvoller Selbst- und Weltverdruss. Horror vacui. Angst. […] Die surrealistischen Exponenten wollten auf regressiv-introspektivem Wege jene zeitgenössischen Frustrationen und Deprivationen kompensieren, das Innere nach auβen kehren, um den zivilisationskranken élan vital durch Imaginäres, Irrationales, Chimärenhaftes neu zu beleben. […] Wie keine andere Kunstrichtung schöpft die surrealistische Malerei aus dem dämonischen Unbewussten mit seinem schier grenzenlosen Reservoir an obskuren Gestalten und polyvalenten Symbolen.” (S. 159-62)

“Psychopatho-Logik” ist ein interessantes, in originellem Stil verfaβtes Buch, das durchaus auch für Laien eine gewinnbringende Lektüre sein kann, sofern diese sich die Mühe machen, den ein oder anderen Fachterminus nachzuschlagen, denn nicht jeder wird (hinreichend) erklärt."
Volker Halstenberg: Psychopatho-Logik. Kybernetik – Psychoanalyse – Kunst – Kreativität.
Münster 2003

siehe auch

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www.berlinbrandenburg24.de/home/news/MenschenUndMedien/

www.medizin-im-text.de/blog/

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